Dienstag, 13. Dezember 2011

Überflieger

Es handelt sich hier nach Die Kunst frei zu sein wohl um das zweite Sachbuch, welches an dieser Stelle rezensiert wird. Und auch der "Bestseller"-Aufkleber prangt erneut auf der Titelseite, obwohl ich doch normalerweise versuche, diesen von zu vielen Menschen gelesenen Werken eher aus dem Weg zu gehen. Aber Empfehlung bleibt Empfehlung.

Worum nun geht es in diesem Sachbuch? Um Erfolg. Warum schaffen es manche Menschen, richtige Überflieger zu werden und warum bleibt genau dies anderen vorenthalten? Die Grundaussage des Buches: Natürlich sind großer Fleiß und Intelligenz wichtige Faktoren aber darüber hinaus spielen meist mehrere Zufälle eine große Rolle, genau so wie kulturgeschichtliche Aspekte.

Die vielen Geschichten über verschiedenste Menschen lesen sich sehr gut, wenn auch manchmal die Detailverliebtheit des (erfolgreichen!) Autors ein wenig nerven kann. Aber die Beispiele sind alle aus dem Leben gegriffen und sehr gut nachvollziehbar. So wird an interessanten Beispielen und sehr anschaulich erklärt, warum erfolgreiche Unternehmer der IT-Branche in einem ziemlich kleinen Zeitfenster geboren sein mußten oder warum insbesondere die jüdischen Anwälte im Amerika der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zum Erfolg kamen. Weshalb so viele Flugzeuge der Korean Airlines abstürzten (die Copiloten hatten sich ganz einfach nicht getraut, den Chef auf einen möglicherweise lebensbedrohlichen Fehler mit der gebotenen Deutlichkeit hinzuweisen, weil die asiatische Kultur solcherlei verbietet), warum Menschen aus den Südtaaten der USA eher zu Gewalt neigen (zur Untermauerung dieser These wird ein sehr schönes Experiment beschrieben, in dem Testpersonen in der Uni so richtig fies gereizt werden und erwartungsgemäß reagieren) und wieso insbesondere die Schüler ostasiatischer Länder so gut in Mathe sind: Deren Zahlensystem hat gegenüber den meisten anderen Sprachen den Vorteil, dass es völlig logisch und ohne Ausnahmen aufgebaut ist (denken wir nur daran, dass deutsche Kinder beispielsweise "sieb-zehn" sprechen aber gleichzeitig "eins-sieben" schreiben müssen oder dass es völlig unlogisch ist, dass vor der "drei-zehn" keine "zwei-zehn" steht sondern eine "zwölf"). Meine Tochter konnte oder wollte darin zwar heute am Frühstückstisch keinerlei Probleme erkennen aber mir erscheint es schon logisch, dass Kinder im Vorteil sind, die ganz einfach im Kopf "drei-zehner und fünf-einser" zu "vier-zehner" und "drei-einser" addieren können und dabei das Ergebnis quasi automatisch ansagen können, ohne es erst wieder im Kopf zurück zu wandeln.

Sehr interessant auch die anhand von amerikanischen Studien nachgewiesene Überzeugung des Autors, dass nicht größere und hübschere Schulen den Kindern zu besseren Leistungen verhelfen sondern ganz einfach die Sommerferien verkürzt werden müßten. Es wird aufgezeigt, dass vor allem die Leistungen von Kindern der Unterschicht in den langen amerikanischen Sommerferien im Gegensatz zu denen der Mittelschicht stark nachlassen, da letztere von ihren Eltern auch in den Ferien zum Lernen angehalten werden, während die armen Kinder sich selbst überlassen sind und natürlich ohne äußere Anreize keinerlei bildungsrelevante Unternehmungen durchführen. Wer könnte es ihnen auch verdenken? Nun kann jeder selbst entscheiden, ob er sein Kind nicht doch lieber auf eine japanische Schule schicken möchte, damit es dort an 243 Tagen pro Jahr unterrichtet wird und damit jährlich über 60 Tage mehr Unterricht genießt als in den USA. Inwieweit die japanischen und koreanischen Kindern ihre Kindheit genießen, darüber schweigt sich das Buch aus, denn es hatte sich ja einem anderen Thema gewidmet.

Eine wichtige Zahl wird noch erwähnt: Die 10.000. So vieler Stunden bedarf es, um auf seinem Gebiet wirklich Außergewöhnliches zu erreichen. Bill Gates programmierte 10.000 Stunden, bevor er seine eigene Firma gründete, die Beatles spielten ebenso lange (was größtenteils der schlechten Bezahlung in den Hamburger Clubs zu verdanken war) und Mozart hatte ungefähr die gleiche Zeit Klavier gespielt und mit seinem Vater zusammen komponiert, bevor er dann die ersten eigenen Werker zustande brachte. Wer demnach über genug Intelligenz bzw. Begabung verfügt, aus der richtigen Kultur kommt, ein paar günstige Zufälle mitnimmt UND 10.000 Stunden übt - der wird ein richtiger Überflieger. Wer hingegen "nur" einen IQ von über 150 hat aber nicht ausreichend gefördert wurde bzw. Defizite in Sachen Kommunikationsfähigkeit oder Sozialkompetenz aufweist, hat kaum eine Chance, reich oder berühmt zu werden.

Viele weitere Beispiele werden in Überflieger aufgeführt, die mit Stichtagen und der Kunst des Reisanbaus zu tun haben aber wer diese Rezension gelesen hat, weiß auch so, dass er wohl kaum ein Überflieger werden wird. Denn wer will schon 10.000 Stunden lang das Gleiche machen???

Interessant zu lesen war das Buch allemal und sicher werde ich mir einige Fakten, die mir so bis dato nicht bekannt waren, abspeichern aber jetzt freue ich mich erst mal auf meinen nächsten Roman, der schon bereit liegt und bereits ein wenig angenagt wurde.

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