Der Rezensent schwankt sehr stark. Daumen hoch oder Daumen
nach unten? Soll er dieses Buch weiterempfehlen, wie genau soll er auf die
Details eingehen, ja – wie hat es ihm überhaupt gefallen?
Stellenweise sehr gut! Insbesondere der rasante Einstieg mit
einer extrem anregenden Szene, die wohl so Mancher als pornografisch
beschreiben würde. In diesem von einer weiblichen Autorin geschriebenen Buch
über die ausgelebten Lüste einer spanischen Frau beobachtet Lulu gleich zum
Anfang der Erzählung in einem Film, wie es mehrere Männer miteinander treiben.
Und sie teilt all das, was sie sieht, mit dem geneigten Leser, der gar nicht
anders kann, als sich die Szenerie bildlich vorzustellen. Einiges von dem, was
hier geschieht, ist wirklich faszinierend, anderes abstoßend und dennoch auf
seltsame Weise interessant.
Doch wer von diesem Buch tatsächlich erwartet, dass es das
Leben einer Frau erzählt, wie doch der Titel vermuten lässt, fühlt sich schnell
hintergangen. Von Lulus Leben erfährt man nur Bruchstücke, die immer wieder
zwischen mehr oder weniger erotische Erlebnisse und Phantasien der
Protagonistin eingestreut werden. Es geht eben wirklich fast „nur“ um das Sexleben
von Lulu. Und dieses ist reichlich abgefahren: So lässt sie uns nicht nur an
dem Tagtraum teilhaben, in dem Sie sich ihren langjährigen Geliebten und
späteren Ehemann Pablo als Ihren Vater vorstellt, den sie anhimmelt und der sie
komplett durchvögelt (was mir dann schon doch ein wenig grenzfällig, wenn nicht
sogar geschmacklos vorkam). Nein, sie beschreibt auch in einem trotz der
erneuten Grenzverletzung herrlich anregendem Kapitel, wie sie (mit verbundenen
Augen und unwissend) gemeinsam mit Pablo von ihrem eigenen Bruder gevögelt
wird. Was sie sichtlich verletzt. Und sie doch nicht davon abhält, sich nach
der Trennung von Pablo (die nicht wegen des von diesem inszenierten Inzest stattfand
sondern ob der Tatsache, dass sie sich bei ihm immer wie ein kleines Kind
vorkam, weil seine Sicherheit sie erdrückte) noch extremeren Lüsten und
Experimenten hinzugeben. Sie, die äußerst attraktive und fast schon Sexbesessene,
geht dazu über, schwule Männer dafür zu bezahlen, dass sie ihnen bei ihren
Spielchen zuschauen darf und von ihnen durchgefickt wird. Der unausweichliche „Höhepunkt“
– wiewohl die einzige Szene in der ihr dieser ausnahmsweise nicht vergönnt war,
ist dann wirklich nichts für schwache Nerven. Dass sie nach ihrer Rettung in
letzter Minute dann erahnt, dass Pablo wohl all dies nur für sie arrangiert
hat, um sie aus ihrer selbstzerstörerischen Lust auf grausame Weise zu befreien
und ihm dankbar in die Arme fällt, ja, sich wie ein kleines Baby von ihm einlullen
lässt, erhärtet dann wieder die altbekannte Theorie, dass man die wahre Liebe
einfach nicht ignorieren und durch vernünftige Argumente von ihr lösen kann. Und
obwohl Pablo ihr in zahllosen Lektionen oft vermitteln wollte, dass Sex auch
ohne Liebe hervorragend funktionieren kann, kommt sie, die wirklich nichts
ausgelassen hat, um diese Theorie auch für sich zu bestätigen, zu dem Schluss: „Ich hegte den schrecklichen Verdacht, dass
Liebe und Sex nicht wie zwei vollkommen voneinander getrennte Dinge
nebeneinander existieren konnten.“. Hat sie hier vielleicht einen grundlegenden
Unterschied zwischen Männern und Frauen aufgedeckt? Nein, ich denke, es sind
wohl die Worte eines lebenserfahrenen Menschen, der zwar gelernt hat,
Sexualität in allen ihren Facetten zu genießen, auch wenn keine Liebe im Spiel
ist, jedoch schlussendlich zu schätzen lernte, dass Beides gemeinsam einfach
unschlagbar ist.
Wer (noch) reichlich Phantasien in sich trägt, wer wahrhaft neugierig
ist oder wem es schwerfällt, sich vorzustellen, dass es Frauen gibt, die
gieriger auf (ausgefallenen) Sex sind als Männer, der lese dieses Buch
unbedingt! Wer hingegen Probleme hat, Schmerz und Lust miteinander in Einklang
zu bringen, dem rate ich eher von der Lektüre dieses übrigens in meinem Besitz befindlichen
und daher jederzeit ausleihbaren Buches ab.
Kommentar von Anonym:
AntwortenLöschenIch fragte mich beim Lesen dieses Buches wieviel davon wohl Almudena Grandes aus eigener Lebenserfahrung kennt, ob sie selbst auf so exzentrische Weise sexfixiert (ge-)lebt (hat). Oder ob sie extra für des Buch mal eine Weile gründlich in entsprechenden Milieus recherchiert hat. Und was sie bewogen hat, so einen Roman zu schreiben. Ob mehr dahintersteckt als ein Brechen von altensexuellen Tabus der Franco-Ära und des katholischen Spanien überhaupt. Oder ob es ir einfach Spaß gemacht hat?
Interessante Fragen, auf die Du keine einfachen Antworten bekommen wirst. Hast Du denn noch andere Werke von Grandes gelesen? Vielleicht findest Du dort antworten (und teilst sie hier mit uns).
AntwortenLöschenAber einmal unabhängig davon, ob sie ähnliche Dinge selbst erlebt oder nur recherchiert hat und warum sie dieses Buch so schrieb: Mir ging es genau so wie der Amazon-Rezensentin Kankin Gawain, die schreibt:
Zuletzt ist es auch erfrischend, zu erfahren, dass männliche und weibliche Sexphantasien durchaus eine gemeinsame Schnittmenge haben, denn ich fand die entsprechenden Szenen auch für Männer außerordentlich schmackhaft, obwohl sie von einer Frau geschrieben wurden.
Als erotischer Roman ist dieses Buch schon eines der guten.
AntwortenLöschenInhaltlich möchte ich noch anmerken, dass er von einer zwiespältigen Beziehung handelt, letzten Endes einer Abhängigkeit. Wie Lulu bereits nach ihrer zwar sehr erotischen aber alles andere als romantischen Entjungferung durch Pablo denkt: "(...) und ich erahnte zum ersten Mal, dass dies wie ein Fluch auf mir lasten würde, dass dies, all dieses, nichts anderes als der Beginn einer ewigen, ununterbrochenen Zeremonie des Besitzes war."
Die minderjährige Schülerin Lulu ist von vornherein in der schwächeren Position, nicht nur, weil sie wesentlich jünger als Pablo und unerfahren ist, sondern auch weil sie schon lange in ihn verliebt ist.
Ihm dagegen gefällt es, mit einem "kleinen", aber sehr sinnlich veranlagten Mädchen zu tun zu haben und nach seinem Wunsch, soll sie das auch immer bleiben: ein frühreifes Schulmädchen.
Pablo überschreitet in schöner Regelmäßigkeit sexuelle Grenzen und bringt Lulu so in Situationen, die man seiner Tochter nicht wünschen würde. Erotisch sind diese Handlungen dennoch, sowohl für den Leser als auch für die Romanfigur Lulu.
Diese erkennt schon nach der ersten Nacht mit ihrem späteren Mann die zugrundeliegende Gesetzmäßigkeit, das Kräfteverhältnis in ihrer Beziehung: "(…), der Herr gibt uns, und der Herr nimmt uns, er gibt es mir, und er nimmt es mir, so ist es gut, der Kreis schließt sich, es beginnt und endet am selben Ort, ihm gefällt es, und so ist es gut."
Almudena Grandes gelingt es mit großer Intensität die Ambivalenz und die düstere Atmosphäre einer gegenseitigen Abhängigkeit, wenn nicht sogar einer missbräuchlichen Beziehung spürbar zu machen.