Freitag, 27. April 2012

Lulú, die Geschichte einer Frau - Almudena Grandes


Der Rezensent schwankt sehr stark. Daumen hoch oder Daumen nach unten? Soll er dieses Buch weiterempfehlen, wie genau soll er auf die Details eingehen, ja – wie hat es ihm überhaupt gefallen?

Stellenweise sehr gut! Insbesondere der rasante Einstieg mit einer extrem anregenden Szene, die wohl so Mancher als pornografisch beschreiben würde. In diesem von einer weiblichen Autorin geschriebenen Buch über die ausgelebten Lüste einer spanischen Frau beobachtet Lulu gleich zum Anfang der Erzählung in einem Film, wie es mehrere Männer miteinander treiben. Und sie teilt all das, was sie sieht, mit dem geneigten Leser, der gar nicht anders kann, als sich die Szenerie bildlich vorzustellen. Einiges von dem, was hier geschieht, ist wirklich faszinierend, anderes abstoßend und dennoch auf seltsame Weise interessant.

Doch wer von diesem Buch tatsächlich erwartet, dass es das Leben einer Frau erzählt, wie doch der Titel vermuten lässt, fühlt sich schnell hintergangen. Von Lulus Leben erfährt man nur Bruchstücke, die immer wieder zwischen mehr oder weniger erotische Erlebnisse und Phantasien der Protagonistin eingestreut werden. Es geht eben wirklich fast „nur“ um das Sexleben von Lulu. Und dieses ist reichlich abgefahren: So lässt sie uns nicht nur an dem Tagtraum teilhaben, in dem Sie sich ihren langjährigen Geliebten und späteren Ehemann Pablo als Ihren Vater vorstellt, den sie anhimmelt und der sie komplett durchvögelt (was mir dann schon doch ein wenig grenzfällig, wenn nicht sogar geschmacklos vorkam). Nein, sie beschreibt auch in einem trotz der erneuten Grenzverletzung herrlich anregendem Kapitel, wie sie (mit verbundenen Augen und unwissend) gemeinsam mit Pablo von ihrem eigenen Bruder gevögelt wird. Was sie sichtlich verletzt. Und sie doch nicht davon abhält, sich nach der Trennung von Pablo (die nicht wegen des von diesem inszenierten Inzest stattfand sondern ob der Tatsache, dass sie sich bei ihm immer wie ein kleines Kind vorkam, weil seine Sicherheit sie erdrückte) noch extremeren Lüsten und Experimenten hinzugeben. Sie, die äußerst attraktive und fast schon Sexbesessene, geht dazu über, schwule Männer dafür zu bezahlen, dass sie ihnen bei ihren Spielchen zuschauen darf und von ihnen durchgefickt wird. Der unausweichliche „Höhepunkt“ – wiewohl die einzige Szene in der ihr dieser ausnahmsweise nicht vergönnt war, ist dann wirklich nichts für schwache Nerven. Dass sie nach ihrer Rettung in letzter Minute dann erahnt, dass Pablo wohl all dies nur für sie arrangiert hat, um sie aus ihrer selbstzerstörerischen Lust auf grausame Weise zu befreien und ihm dankbar in die Arme fällt, ja, sich wie ein kleines Baby von ihm einlullen lässt, erhärtet dann wieder die altbekannte Theorie, dass man die wahre Liebe einfach nicht ignorieren und durch vernünftige Argumente von ihr lösen kann. Und obwohl Pablo ihr in zahllosen Lektionen oft vermitteln wollte, dass Sex auch ohne Liebe hervorragend funktionieren kann, kommt sie, die wirklich nichts ausgelassen hat, um diese Theorie auch für sich zu bestätigen, zu dem Schluss: „Ich hegte den schrecklichen Verdacht, dass Liebe und Sex nicht wie zwei vollkommen voneinander getrennte Dinge nebeneinander existieren konnten.“. Hat sie hier vielleicht einen grundlegenden Unterschied zwischen Männern und Frauen aufgedeckt? Nein, ich denke, es sind wohl die Worte eines lebenserfahrenen Menschen, der zwar gelernt hat, Sexualität in allen ihren Facetten zu genießen, auch wenn keine Liebe im Spiel ist, jedoch schlussendlich zu schätzen lernte, dass Beides gemeinsam einfach unschlagbar ist.

Wer (noch) reichlich Phantasien in sich trägt, wer wahrhaft neugierig ist oder wem es schwerfällt, sich vorzustellen, dass es Frauen gibt, die gieriger auf (ausgefallenen) Sex sind als Männer, der lese dieses Buch unbedingt! Wer hingegen Probleme hat, Schmerz und Lust miteinander in Einklang zu bringen, dem rate ich eher von der Lektüre dieses übrigens in meinem Besitz befindlichen und daher jederzeit ausleihbaren Buches ab.

Donnerstag, 26. April 2012

Mit der Endurance ins ewige Eis - Ernest Shackleton

Nicht des ausgefallenen Schreibstils wegen hat mich diese Geschichte so fasziniert. Sie fesselte mich deshalb so, weil Sie, anders als die meisten Erzählungen und Filme, bei denen zwar das Gegenteil behauptet wird, was aber meist nur die Werbewirksamkeit erhöhen soll, komplett wahr und detailgetreu wiedergegeben ist. Und, obwohl ich dieses Wort normalerweise nicht in den Mund nehme, da es für mich immer einen faden Beigeschmack hat, weil sie von echten Männern, von wahren Helden handelt!

Wer sich bereits ein wenig mit Scott, Amundsen und Shackleton vertraut gemacht hat, weiß von dem vergeblichen Versuch des Letztgenannten, mit der Durchquerung der Antarktis Geschichte zu schreiben, nachdem der Südpol bereits erobert worden war. Und wer noch nichts davon wusste, erfährt in einer als Vorwort getarnten Zusammenfassung der Ereigenisse vom allbekannten Yeti-Forscher Reinhold Messner, was genau sich in den Jahren 1914-1917 am Südpol zugetragen hat und dass (fast) alle Männer überlebten, nachdem Ihr kleines, braves Schiff vom Eis zerquetscht und in die Knie gezwungen worden war. Und dennoch, obwohl man vom glücklichen Ende weiß und bereits grob über die Abenteuer der Expeditionsmitglieder informiert wurde, klopft dem Leser an manchen Stellen das Herz hörbar. Zugegeben, wenn Shackleton uns an einigen Stellen in trockener Seemannsmanier die genauen Positionsdaten der Mannschaft zumutet, ist das für den Nicht-Nautiker schon kurzzeitig das Gegenteil von kurzweilig. Doch Schwamm drüber, der Mann war schließlich kein Schriftsteller sondern ein genialer, extrem mutiger, besonnener und überaus verantwortungsbewusster Abenteurer, der für seine Leute durchs Feuer (bzw. dessen Gegenteil) ging . Wie ein aus der Mode gekommener Offizier alter Schule (erneut ein Wort, welches ich normalerweise eher nicht mit positiven Eigenschaften assoziiere) ist Shackleton selber immer derjenige, der nach einem unmenschlichen Fußmarsch, als alle anderen ihre Wunden lecken und versuchen, sich ein wenig auszuruhen, noch auf einen weiteren Gipfel klettert, um die Lage zu erkunden oder die beste Route für den nächsten Tag auszukundschaften. Ein unglaublicher Typ muss das gewesen sein…

Doch was genau ist damals passiert, kurz nachdem in Europa der bis dato schlimmste Krieg angebrochen war? Von Feuerland aus kämpft sich Shackletons Team durchs Packeis so nahe wie möglich an das antarktische Festland heran, während von Neuseeland her ein zweites Team Gleiches versucht (und ähnlich schlimm scheitert), um den verrückten Durchquerern des kalten Kontinents entgegenzukommen und Lebensmitteldepots für sie anzulegen. Nur einen reichlichen Monat nachdem Shackletons Endurance die letzte bewohnte Insel South Georgia hinter sich gelassen hat, wird sie vom Packeis eingeschlossen und treibt nun mit diesem Richtung Norden. Die Männer haben derweil noch ausreichend Nahrung und Abwechslung (wiewohl man sich schwerlich vorstellen kann, wie es 25 Kerle auf so einem kleinen Boot in dieser Kälte aushalten, ohne sich gegenseitig aufzufressen). Sie spielen Fußball auf dem Eis, jagen Robben und Pinguine (ja, das klingt total fies - aber wieso ist es für uns eigentlich schlimmer, einen frei lebendem, glücklichen Pinguin zu essen als ein in einem stinkenden Käfig mit kotdurchlässigem Gitterboden eingepferchtes Schwein, das nie im Leben den blauen Himmel sehen durfte?) und hoffen noch, im nächsten Sommer wieder frei zu kommen und die eigentliche Reise antreten zu können. Doch nach monatelangem Bangen wird es immer mehr Gewissheit: Die Endurance wird vom ungeheuerlichen Druck des Eises zerquetscht werden, und so legen die Männer nach 9 Monaten Gefangenschaft, die die besten Monate für eine sehr lange Zeit gewesen sein sollten, ihr „Ocean Camp“ auf einer Eisscholle an. Noch haben sie Zeit, überlebenswichtige Dinge vom Schiff zu retten, doch schließlich sinkt es und dem ein oder anderen der wilden Kerle dürften die Tränen im Gesicht gestanden haben, so wie unsereins, als wir vom warmen Kinosessel aus die Titanic mit Leonardo DiCaprio und der schönen Kate Winslet im kalten Wasser untergehen sahen. Mit Hilfe ihrer Schlittenhunde, eines Motorschlittens, der mehr schlecht als recht seinen Dienst tat und ungeheuerlichen Kraftanstrengungen kämpfte sich die Mannschaft nordwärts (die Antarktisdurchquerung war mittlerweile abgehakt worden denn es ging nur noch darum, irgendwie aus dieser Eishölle heraus zu kommen und nicht allzu viele Gliedmassen durch Erfrierungen einzubüßen). Die drei Rettungsbote, auf dem Eis ungeheuer schwer und riesig groß, auf dem offenen Meer später winzig klein und leicht wie eine Feder auf dem Wasser hüpfend, mussten dabei natürlich immer irgendwie mitgenommen werden. Der ein oder andere dürfte darob wohl ein wenig ins Schwitzen gekommen sein. Als dann eines Nachts die driftende Eisscholle exakt unter Sheckletons Zelt zerbrach, war es Zeit, die Boote zu Wasser zu lassen. Aber dies geschah eben nicht auf dem Cospudener See sondern irgendwo in der windigsten Region der Erde zwischen Feuerland und Antarktis. Doch es waren ja „nur“ weniger als 200km bis nach Elephant Island und die Temperaturen waren mit minus 13 Grad noch ganz angenehm. Zumindest im Vergleich zu den minus 30 Grad, die die durchweichten, ausgedörrten und vom fehlenden Schlaf ausgezehrten Männer einige Tage später aushalten mussten. Wie man so eine Strapaze überhaupt überleben kann, ist mir unvorstellbar. Aber wie sich ein kleines Team von 6 Leuten nach nur wenigen Tagen Erholung erneut in so eine kleine Nussschale begeben konnte, um nach South Georgia zu segeln, ist mir absolut unbegreiflich (und dennoch notwendig, schließlich gab es auf Elephant Island weder eine warme Gaststube noch einen Hafen, an dem von Zeit zu Zeit die Ausflugsdampfer anlegten, um die Gestrandeten mit zurück in die Zivilisation zu nehmen, ja, noch nicht einmal ausreichend Robben und Seeelephanten zum Verzehr). Nach genau 14 unbeschreiblichen Tagen (und noch schlimmeren Nächten) im nassen Boot, inmitten von Schneestürmen und wahnsinnigen Wellen, nach einer gerade so überstandenen Sturzwelle und mit einem Durst, den kein Mitteleuropäer nur ansatzweise je erlebt hat, liegt nun endlich die rettende Insel vor den mittlerweile zu guten Freunden des Lesers gewordenen Männern, und man freut sich mit den Leidenden über ihre Rettung. Doch noch ist es nicht so weit. Zwei ganze Tage dauert es noch, bis sie endlich einen Weg durch die Klippen an den Strand finden, zwei Tage, in denen sie das rettende Ufer mit seinem Eis, das besser mundet als das leckere, cremige polnische Softeis, zwar sehen aber nicht berühren können und vor Hunger und Durst fast verrückt werden. Und nun die Rettung? Denkste! 36 Stunden kämpfen sich nun Shackleton und zwei Begleiter über Gletscher und Eisfelder, durch Nebel und meterhohen Schnee, bis Sie endlich ganz leise die Dampfpfeifen der Walfangstation hören durften, ein Geräusch, das für die seit anderthalb Jahren von der Außenwelt abgeschnittenen schöner war als Bachs Toccata und Fuge in D-Moll. Aber noch immer waren sie nicht am Ziel. Kurz vor dem rettenden Hafen musste sich noch direkt durch einen eiskalten Wasserfall hindurch abgeseilt werden, was bestimmt keine Freude sondern purer Überlebenskampf war.
Die drei auf der anderen Seite der Insel Zurückgebliebenen konnten schnell gerettet werden doch die 22 Männer auf Elephant Island mussten noch mehrere Monate darauf warten, dass der unermüdliche Sir Ernest Shackleton im vierten Anlauf doch noch durch das dichte Packeis zu ihnen vordrang.

Bis an diese Stelle macht das Lesen einfach ungeheuer viel Spaß, doch leider hat der Autor wenig erfolgreich versucht, in wenigen Kapiteln auch die Erlebnisse der Neuseeland-Truppe darzustellen, was leider nur sehr schlecht gelang. Nach all diesem Leiden und den durchlittenen Qualen fällt es schwer, sich mit den Männern gedanklich zu verbünden und zu solidarisieren, die genau so gelitten haben wie die Endurance-Crew und die für deren Durchkommen überlebenswichtig gewesen wäre.

Dass nach der Rückkehr nach England fast alle Expeditionsteilnehmer laut Shackleton darauf brannten, endlich dem Vaterland im Krieg dienen zu dürfen, tut weh (und das nicht, weil der Krieg gegen Deutschland geführt wurde sondern weil einige der Männer hier nun völlig sinnlos starben – aber wer stirbt schon sinnvoll wenn es Krieg ist?).

Ich persönlich habe nun zwar erst einmal genug von Kälte, Eis und rohem Robbenfleisch. Aber genau wie bei Shackleton wird es auch bei mir nicht lange dauern, bis ich weiter voranschreite in der Erforschung der Antartkis, denn durch einen glücklichen Zufall fand ich vor wenigen Wochen auf dem Dachboden Shackletons Bericht einer vorangegangenen Expedition ins Eis in einer Ausgabe von 1928. Antarktis: Ich komme!

Freitag, 6. April 2012

Paris - Ein Fest fürs Leben - Ernest Hemingway


Nachdem ich nun vor einigen Monaten Hemingway in dem wunderbaren Film „Midnight in Paris“ kennenlernen durfte, wollte ich unbedingt eines seiner berühmten Werke lesen, da er mich dort stark beeindruckt hatte. Doch obwohl er im vorliegenden Buch, in dem er sein Leben im Paris der 20er Jahre beschreibt, als er anfing eigene Geschichten zu schreiben, Einiges von sich und seiner Gedankenwelt preis gibt, so habe ich mich dennoch lange an dieser Lektüre herumgequält und die letzten Seiten dann überblättert, nur um endlich fertig zu werden. Was im Übrigen so gar nicht meine Art ist.

Ich bin sicher, dass es kein schlechtes Buch ist (wie könnte es auch, wo es doch nicht nur von Ernest Hemingway himself geschrieben wurde sondern auch noch von seinem Leben berichtet!). Dennoch ist es wohl zu aller erst eingefleischten Hemingway-Fans, Pariskennern oder Literaturhistorikern zu empfehlen (die es sowieso bereits verschlungen haben dürften). Doch welchen Normalsterblichen interessiert schon, welche Teile des Werkes nachträglich mit aufgenommen wurden, obwohl „Hem“ das gar nicht vorhatte, welche von ihm selbst wieder gestrichen wurden oder wie sie in einer anderen Version aussahen, was durch Fußnoten und im umfangreichen Anhang immer wieder präzise erläutert wird.

Sicher, man lernt über Ernest Hemingway und die Künstler seiner Zeit, dass sie schon frühmorgens in einem ihrer Pariser Lieblingscafes Wein tranken, beim Pferderennen das Geld verwetteten, das sie lieber für Feuerholz hätten ausgeben sollen, ja, sogar, dass schon vor knapp hundert Jahren Doping ein probates Mittel war, um das Rennen zu seinen Gunsten zu entscheiden (falls man dem Pferd nicht aus Versehen ein wenig zu viel Aufputschmittel verabreicht hatte und es dem Reiter deshalb auch mal durchging). Man trifft auf viele Persönlichkeiten mit den Namen Gertrude Stein, Scott Fitzgerald, Ezra Pound, James Joyce und lernt deren Eigenheiten näher kennen. Jedoch bin ich sicher, dass dieses Werk völlig unbeachtet geblieben und höchstwahrscheinlich noch nicht einmal verlegt worden wäre, würde hierin ein unbekannter Vorfahre meiner selbst von seinen Pariser Jugendjahren erzählen. Doch lassen wir den Konjunktiv beiseite und widmen uns den interessanten Stellen der Hemingway-Selbst-Frühbiographie.

Ironischerweise handelt die in meinen Augen spannendste Erzählung nicht in Paris sondern im österreichischen Vorarlberg, wo Hemingway einige Winter zusammen mit seiner ersten Frau Hedley verbrachte. Hier wird sehr detailliert erzählt, welch Mühen aber auch welche heute kaum noch denkbaren Freuden man am Anfang des letzten Jahrhunderts beim Skilaufen erdulden musste bzw. empfinden konnte, als man sich noch nicht von lautlosen Gondeln auf die Berggipfel befördern lies um dann die glatt gewalzte Piste hinunter zu rasen. Stattdessen war mühsames Aufsteigen, teilweise über mehrere Tage und über Gletscherspalten hinweg angesagt, worauf dann Tiefschneefahrten in jungfräulichem (aber höchst gefährlichem) Terrain als Belohnung für Körper und Seele auf die Mutigen und auf die Törichten warteten.

Sicher: Derjenige, dem das heutige Paris näher und lieber ist als mir, wird sich immer wieder glücklich schätzen, dass schon der berühmte Ernest Hemingway die gleichen Ecken der Stadt liebte, wenn er sie während der Lektüre bei einer der zahllosen Erwähnungen von Straßen, Stadtvierteln und Cafes wiedererkennt. Ich hingegen musste bei Sätzen wie: „… im Stade Anastasie in der rue Pelleporte auf dem Ménlimontant, dem nächsten finsteren Pariser Hügel rechts an den Buttes Chaumonts vorbei, wenn man in der Mitte des Schlachthausviertels steht und Richtung Porte de la Vilttette blickt. Oder einfacher, es war die vorletzte Station der Metro-Linie von der Porte des Lilas kurz vor dem Wasserspeicher von Ménlimontant. „ nur gelangweilt gähnen, was sicher nicht Hem’s Schuld, jedoch meiner Weiterempfehlungsbereitschaft eher unzuträglich ist.

Gut, es gibt Entschädigungen für solche unzumutbaren Ergüsse, wie z.B. dieser herrlich sarkastische Dialog mit einem verkappten Schriftsteller, dem Hemingway erst empfiehlt, sich aufzuhängen um später dann doch einzulenken, als er ihm den Rat zu gibt, Kritiker zu werden und Rezensionen zu verfassen, wenn er nun mal nicht selber schreiben könne. Literaturkritiker scheint Hemingway nicht unbedingt sehr lieb gehabt zu haben, andererseits bringt er ihnen auch eine gewisse Achtung entgegen: „Nicht einfach ist es auch – aber den Privatdetektiven der Literaturkritik fast immer möglich -, den Beweis zu führen, dass der Verfasser von Geschichten in der ersten Person unmöglich all das oder auch nur irgendetwas von dem getan haben kann, was der Erzähler getan hat“

Und zweifelsohne kann man diesem Werk einige allgemeingültige Lebensweisheiten entnehmen. Beispiele gefällig? „Man sagt, die Keime dessen, was wir einmal tun werden, sind in allen von uns, aber mir schien immer so, dass die Keime von denen, die mit Humor durchs Leben gehen, mit besserer Erde und stärkerem Dünger bedeckt sind.“ Oder: „… sie verziehen es uns, dass wir verliebt und verheiratet waren – dem würde die Zeit schon abhelfen.“ Im Übrigen war Hemingway selbst viermal verheiratet. Wie oft er wohl verliebt gewesen ist?

Angehende Schriftsteller finden dann noch ein paar wirklich gute Ratschläge, welche ich gierig aufsog. Einen davon möchte ich an dieser Stelle kurz wiedergeben: „Ich hatte bereits gelernt, den Brunnen meines Schreibens nie zu erschöpfen, sondern stets aufzuhören, wenn im tiefen Teil des Brunnens noch etwas übrig war, und ihn über Nacht von den Quellen, die ihn speisten, wieder füllen zu lassen“

Da es schon nach Mitternacht ist, werde ich diese Anweisung gern befolgen und an dieser Stelle aufhören, um mir das nächste, hoffentlich wieder richtig fesselnde Buch zur Hand zu nehmen.



Donnerstag, 5. April 2012

Winterkartoffelknödel - Rita Falk

Wo hatte ich nur diesen Buchtipp her? Wer ist so gemein und empfiehlt so ein Buch? Einen „Provinzkrimi“ einer provinziellen Autorin, die laut eigener Aussage damit ihrer geliebten süddeutschen Dorfheimat ein Denkmal setzen will. Dies hier ist ein Plädoyer für den Buchkauf im Handel: Nur dort kann man die knalligen Kommentare auf dem Buchrücken lesen und als gebildeter, erfahrener und mit den miesen Tricks der kapitalistischen Gesellschaft vertrauter Leser sofort vom geplanten Kauf zurückweichen, wenn man die hier abgedruckten statements herausragender Zeitungen wie „Stadtkurier Frankfurt“ oder „Schwäbische Post“ liest: „Ein kultverdächtiger Provinzkrimi – zum Schreien komisch. Unbedingt lesen“ oder „Hundsgemein, mörderisch gut und sakrisch komisch. Sehr, sehr empfehlenswert“ (ein „sehr“ hätte es wohl auch getan!).

Nein, das Buch ist bestimmt nicht saukomisch, allenthalben für das Stammpublikum einer bayerischen Dorfkneipe geeignet, das sich schenkelklopfend nach dem 3. Bier vor Lachen bepisst, wenn es vom traurigen aber wahnsinnig lustig beschriebenen Alltag Seinesgleichen liest (falls die Sat-Antenne mal kaputt ist).

Der aus der Großstadt zurück ins Dorf versetzte Polizist Franz, der bei Papa und Oma wohnt und immer wieder mit den gleichen langweilenden Worten über die „Schleimsau“, also seinen Bruder, herzieht, klärt einen Vierfachmord auf, bei dem eine ganze Familie auf so unverhältnismäßig unglaubhafte Art ausgelöscht wird, dass sich echte Mörder nur die Augen reiben können. Und wer ist nun der für die Taten Verantwortliche? Achtung: Der Bofrost-Fahrer Klaus mit dem schlimmen Leipziger Akzent. Denke nun niemand, ich würde nur deshalb über dieses Buch herziehen, weil auch ich ein wenig sächsisch spreche und aus Leipzig stamme. Nein, über diesen Einfall könnte ich notfalls sogar ein wenig schmunzeln, wenn mich der ach so spannende Krimi in die richtige Stimmung dazu gebracht hätte. Doch in diese konnte ich mich nur mittels zweier Gläser Rotwein bringen und dann in der Tat kurz lächeln, als der Bulle die „Sahneschnitte“ bzw. „den Ferrari“ nicht nur nach Alter, Name und Gewicht sondern im gleichen Atemzug nach Brustumfang befragte. Saukomisch halt.

Ausgefeilte Sätze wie „Zwecks was bist Du denn heut so fröhlich?“ sollen dem Leser wahrscheinlich die Überlegenheit des bayrischen Dialekts näherbringen oder ihm zumindest einen weiteren Lachanfall bescheren. Mag es eingebildet klingen oder nicht. Bei mir haben solch gewollt prollige Formulierungen das Gegenteil ausgelöst und ähnliche Auswirkungen auf meine (Lese) Lust gehabt wie auf eine im Geschlechtsakt befindliche Frau, die vom Mann gefragt wird: „Bin ich gut?“

Wahrscheinlich sind noch das Beste die im Nachwort abgedruckten Kochrezepte der Oma (wollte da jemand den Simmel imitieren oder einfach nur dem Buch zu einer gut verkäuflichen Seitenanzahl verhelfen?). Nun ja, und natürlich dieser wunderbare und wirklich einmal echt lustige Satz im zweiten Teil des Nachwortes, der unter anderem „Die ausführliche Vita der Autorin…“ zum Inhalt hat, wo es Rita Falk dann klar und deutlich (und sogar allen Ernstes!) ausspricht: „Schlechte Bücher schreiben kann ich auch. Vielleicht schaff ich es sogar, gute Bücher zu schreiben.“ Vielleicht, Rita, vielleicht aber auch nicht.