We R:Evolution!
Anrührend
bedröhnt: Thomas Martinis Debütroman „Der Clown ohne Ort“
Dass
es trotz größerer Abstürze besser ist,
Koks zu sniffen als lediglich zu kiffen, davon kann man sich in dieser
abstrusen Geschichte von Thomas Martini leicht überzeugen. Beides zusammen,
abgerundet durch Speed, Chrystal und allerlei Pillen, komplettiert von
exzessivem Alkoholkonsum, ermöglicht es dem Antihelden Naïn überhaupt erst,
dieses Leben zu ertragen. Hier kommt einer nicht klar in dieser verrückten Welt, weil er jegliche Verbindung
zur Erde verloren hat. Hier bäumt sich einer auf gegen diesen Konsumwahnsinn mit
seinen hundert Senf- und tausend Marmeladensorten. Keine Revolution wird
angestrebt, sondern lediglich
eine rapidere Evolution, eine Alternative zu den derzeitigen Untergangsszenarien.
Doch
genau wie die Piraten die Parlamente, verlässt auch Naïn nach kurzer, aber kompromisslos produktiver
Mitarbeit die Gruppe größtenteils weiblicher, halbnackter Evolutionäre „We R:
Evolution“. Statt weiterhin aus den Schriften von Adorno und John Rawls die
notwendigen Konsequenzen zu extrapolieren, gibt er sich der postmasturbalen
Beobachtung von Lisas Fenster hin. Dabei schwelgt er in süßen Erinnerungen an
seine Zeit in Barcelona, als alles noch gut und er mit Lisa und Amaia zusammen
war. Seine Gesellschaftskritik bringt Naïn
dann konsequent durch die brandschutztechnisch sicherlich umstrittene
Entsorgung all seines Besitzes zum Ausdruck.
Was
uns der junge Autor Thomas Martini hier mit seinem Erstlingswerk bietet und
zugleich zumutet, ist keine leichte Kost. Wenn von Naïn’s drogenverursachten
Träumen von illustrer Vergangenheit, verko(r)kster Gegenwart oder endzeitlicher
Zukunft erzählt wird, fällt es oft schwer, diesen Sätzen und Fragmenten einen
Sinn abzuringen. Vielleicht würde ja eine der amerikanischen Tüten (ohne Tabak!) helfen, die er oft schon
zum Frühstück raucht. Doch weil es Martini gelingt, uns mit einer umwerfend
poetischen Sprache in die vernebelte und doch zugleich immer wieder von klaren
Einsichten durchzogene Welt bewusstseinserweiternder Substanzen zu entführen,
gebührt diesem Roman großer Respekt.
Selten
nur hat man das Vergnügen, einem so nahe gehenden, sich
über etliche Seiten erstreckenden Nachruf auf die große Liebe folgen zu dürfen.
Zwar liegt dessen Reiz zweifellos auch darin, dass es sich hierbei um eines der
wenigen Kapitel handelt, die sich ausnahmsweise fast so lesen lassen wie ein
ganz normaler Roman. Doch bekommt der Leser durch diese träumerischen
Erinnerungen eine Ahnung vom Liebes- und Lebensschmerz des Protagonisten, der
ihn wirklich sympathisch werden lässt.
(Diese Rezension wurde für das "Logbuch" verfasst, die Beilage zur Buchmesse 2013 des Leipziger Stadtmagazins "Kreuzer")
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