Mittwoch, 27. Februar 2013

Der Clown ohne Ort - Thomas Martini



We R:Evolution!

Anrührend bedröhnt: Thomas Martinis Debütroman „Der Clown ohne Ort“


Dass es trotz größerer Abstürze besser ist, Koks zu sniffen als lediglich zu kiffen, davon kann man sich in dieser abstrusen Geschichte von Thomas Martini leicht überzeugen. Beides zusammen, abgerundet durch Speed, Chrystal und allerlei Pillen, komplettiert von exzessivem Alkoholkonsum, ermöglicht es dem Antihelden Naïn überhaupt erst, dieses Leben zu ertragen. Hier kommt einer nicht klar in dieser verrückten Welt, weil er jegliche Verbindung zur Erde verloren hat. Hier bäumt sich einer auf gegen diesen Konsumwahnsinn mit seinen hundert Senf- und tausend Marmeladensorten. Keine Revolution wird angestrebt, sondern lediglich eine rapidere Evolution, eine Alternative zu den derzeitigen Untergangsszenarien.
Doch genau wie die Piraten die Parlamente, verlässt auch Naïn nach kurzer, aber kompromisslos produktiver Mitarbeit die Gruppe größtenteils weiblicher, halbnackter Evolutionäre „We R: Evolution“. Statt weiterhin aus den Schriften von Adorno und John Rawls die notwendigen Konsequenzen zu extrapolieren, gibt er sich der postmasturbalen Beobachtung von Lisas Fenster hin. Dabei schwelgt er in süßen Erinnerungen an seine Zeit in Barcelona, als alles noch gut und er mit Lisa und Amaia zusammen war. Seine Gesellschaftskritik bringt Naïn dann konsequent durch die brandschutztechnisch sicherlich umstrittene Entsorgung all seines Besitzes zum Ausdruck.
Was uns der junge Autor Thomas Martini hier mit seinem Erstlingswerk bietet und zugleich zumutet, ist keine leichte Kost. Wenn von Naïn’s drogenverursachten Träumen von illustrer Vergangenheit, verko(r)kster Gegenwart oder endzeitlicher Zukunft erzählt wird, fällt es oft schwer, diesen Sätzen und Fragmenten einen Sinn abzuringen. Vielleicht würde ja eine der amerikanischen Tüten (ohne Tabak!) helfen, die er oft schon zum Frühstück raucht. Doch weil es Martini gelingt, uns mit einer umwerfend poetischen Sprache in die vernebelte und doch zugleich immer wieder von klaren Einsichten durchzogene Welt bewusstseinserweiternder Substanzen zu entführen, gebührt diesem Roman großer Respekt.
Selten nur hat man das Vergnügen, einem so nahe gehenden, sich über etliche Seiten erstreckenden Nachruf auf die große Liebe folgen zu dürfen. Zwar liegt dessen Reiz zweifellos auch darin, dass es sich hierbei um eines der wenigen Kapitel handelt, die sich ausnahmsweise fast so lesen lassen wie ein ganz normaler Roman. Doch bekommt der Leser durch diese träumerischen Erinnerungen eine Ahnung vom Liebes- und Lebensschmerz des Protagonisten, der ihn wirklich sympathisch werden lässt.

(Diese Rezension wurde für das "Logbuch" verfasst, die Beilage zur Buchmesse 2013 des Leipziger  Stadtmagazins "Kreuzer")


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