Montag, 18. Februar 2013

Wenn wir Tiere wären – Wilhelm Genazino


Wenn Bücher sprechen könnten würde dieses dem Rezensenten bestimmt laute Vorwürfe machen und ob der vielen Eselsohren laut wehklagen. Dabei hätte es wirklich jede einzelne Seite verdient, mit einer solchen Markierung versehen zu werden, denn Wilhelm Genazino ist es doch wirklich gelungen, in jedem zweiten Satz eine kluge Lebensweisheit, eine feine Beobachtung oder eine gelungene Interpretation der uns alle umgebenden Zustände unterzubringen. Es sei hiermit in aller Deutlichkeit gesagt: Dieses Buch gehört in jeden Bücherschrank eines klugen und nachdenkenden Menschen, damit dieser immer wieder an einer wahllosen Stelle darin blättern kann um zu staunen, zu lächeln, sich zu freuen.



Genazino hat in diesem Büchlein einen netten, wenn auch ein wenig abgedrehten Mann erschaffen, der frei von Karrieregelüsten ist und den Erwerb materieller Güter soweit als möglich vermeidet. Dafür kann er sich, wie kaum eine anderer, an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen. Nur hat der Protagonist, trotz zweier Frauen, niemanden, mit dem er diese Freuden teilen könnte. Keiner hört ihm in diesen hektischen Zeiten zu, wenn er staunend berichtet: „Schon gefiel mir eine tiefschwarze Amsel, die auf einem gelben Postauto saß.“ Es tut gut zu wissen, dass es sie also doch noch gibt, die Männer, die das Angebot einer Festanstellung als Anschlag auf ihre Unabhängigkeit empfinden, als Attacke auf das innere Freiheitsgefühl. Und die sich nicht scheuen, Unterwäsche als das zu bezeichnen was sie ist und tatsächlich noch das Wort „Schlüpfer“ benutzen. Wo bitte kann man dieses herrlich unerotische und doch so aussagekräftige Substantiv heute noch finden?

Die Handlung an sich ist, im Gegensatz zum Inhalt, äußerst dürftig und in wenigen Sätzen erzählt: Ein freischaffender Architekt ist quasi gezwungen, sowohl den Schreibtisch als auch die Frau und das Auto eines befreundeten, festangestellten und verstorbenen Kollegen zu besetzen, obwohl ihm dies letztendlich seiner Freiheit beraubt. Seine Freundin Maria hat ihn dazu mit unschlagbaren Argumenten überredet, unwissend, dass auch die Witwe mit „der kindlichen Möse“ zum Deal dazugehört. Deren Tampon im Badschrank veranlasst nun Maria, die langjährige Beziehung aufzukündigen, was den Manne nicht besonders grämt (schließlich hatte er lediglich wegen seines fehlenden Mutes diesen Schritt nie selbst gewagt) und letztendlich dazu führt, dass dieser im Knast endet. Beziehungsweise zwischenparkt. Dort findet er es gar nicht so unangenehm, doch verliert er eine seiner bis zu diesem Zeitpunkt verinnerlichten Gewissheiten, nämlich, dass „Jugend und Unfug ursächlich zusammenhingen“.  Diese Überzeugung wird ihm durch den grausamen Anblick alter Schlagerstars während der wöchentlichen Fernsehstunde ausgetrieben. Nach der baldigen Entlassung (keine Fluchtgefahr) findet das Paar für eine Weile wieder zusammen und der Architekt flieht nun nach erfolgtem Beischlaf nicht mehr aus dem Bett in eine Bar, wie er es in der Vergangenheit meist getan hatte. (Damals hatte er es sehr genossen, dass wenigstens dieser Punkt geklärt war, denn die Frauen: „…sehen sofort, dieser Mann wird wenigstens vorübergehend nicht von seinem Hauptanliegen gequält“.) Jetzt also bringt er sogar einen Schlafanzug als Zeichen seines guten Willens mit zur Freundin.  Diese sorgt sich fortan wie eine Mutter darum, dass das Leben des Eigenbrötlers  nicht in einer Katastrophe endet, was erneut ein Grund zur (man darf vermuten: zeitlich befristeten) Trennung ist und mit den sagenhaft präzisen Worten kommentiert wird: „Eine unerlaubte Erleichterung übermannte mich.“

Ähnlich lakonisch bringt der Antiheld, der von sich sagt: „Selbstverständlich hatte in meinem Leben der gute Beischlaf einen dreimal höheren Wert als das gute Gespräch.“ zum Ausdruck, was die meisten Männer fühlen aber nicht zu denken wagen. Oder gar auszusprechen. 

Doch auch den Frauen, die Ihre (Ehe) Männer in deren Verhalten nicht richtig verstehen und sich immer wieder über diese ärgern, sei dieses Büchlein wärmstens anempfohlen. Dass Männer nun mal hin und wieder gern allein sind, ungern Shoppen und selten neue Bettwäsche aufziehen, ist in deren Genen fest verankert und nicht im geringsten Ausdruck bösen Willens. Der Protagonist ist ein wirklich extremes Exemplar dieser Spezies und vereint all diese für Frauen völlig unverständlichen Eigenschaften auf eine zugespitzte Art und Weise, doch macht ihn gerade dies so aufrichtig und unangreifbar.

Genazino schreibt hier mit einer derartigen Lebensweisheit, dass dem Leser immer wieder kleine Aha-Erlebnisse in den Sinn kommen. Man weiß genau, wovon er berichtet aber kaum Einer kann es so prägnant ausdrücken wie er, etwa wenn es nach einem Streit des Paares heißt: „Ich schwieg eine Weile, dann stand ich auf und ging auf die Toilette… Maria und ich sind in der Toilettenphase angekommen, dachte ich unfroh. Die Toilette war die kürzeste mögliche Flucht und die kürzeste mögliche Rückkehr…“ 

Am Beispiel eines unangepassten Menschen wird hier genau das aufzeigt, was Viele schon lange ahnen aber nicht auszudrücken wissen. Nämlich dass dieses ständig von Allen geforderte Wachstum, diese Konsumorientiertheit, der Zwang nach Angepasstheit, auf Dauer nicht gut gehen können. Nur versteckt der Autor diese Gesellschaftskritik gekonnt in Aussagen wie: „Ich wusste längst, dass jeder Mensch einsam war.“ Diese Tatsache anzuzweifeln wäre so „… töricht gewesen, (wie) von Zeit zu Zeit darauf hinzuweisen, dass alle Menschen immer mal wieder pinkeln mussten uns sich abends schlafen legten.“

Und wer hat sich jemals schon so hinreißend und ausführlich über den Unterschied zwischen Staub und Schmutz ausgelassen, wie Genazino? Dessen Architekt wollte seiner Freundin Maria während einer Diskussion anlässlich der Beerdigung eines Kollegen „… nicht erklären, dass es ein angenehmer metahphysischer Zustand ist, Schuhe bei ihrer fortlaufenden Selbsteinschmutzung zu beobachten.“ Und so verliert er sich in Betrachtungen darüber, dass etwas von selbst staubig wird aber die Verschmutzung ein aktiver Vorgang ist, der mit dem „selbständigen Eintauchen in ein Konzentrat von Ausscheidungen…“ einhergeht.  Ähnlich fesselnd sind seine Betrachtungen über die Schönheit, die man leider nur anschauen aber nicht mit nach Hause nehmen kann. Als Beispiel dient hier, wie sollte es anders sein, der Anblick einer weiblichen Brust, wenngleich sich der Nachdenkende hier nicht ganz sicher ist, ob eine weitgehend freiliegende Frauenbrust (einer Stillenden) eine kleine oder schon eine größere Schönheit ist. Wem die hier genannten Beispiele intellektueller Betrachtungen weltlicher Probleme möglicherweise ein wenig zu belanglos erscheinen mögen, der studiere Genazinos Gedanken zum Thema Unaufrichtigkeit in Beziehungen. Der Ich-Erzähler ist jedes Mal erleichtert, wenn seine Freundin nach einem gemeinsamen Wochenende dessen Wohnung wieder verlässt. Da er diesen Konflikt nicht richtig erklären kann (schon gar nicht gegenüber der Freundin) sondern nach deren Weggang lediglich so etwas wie Freiheit und Unbelastetsein empfindet, hält er lieber den Mund und leidet still in sich hinein. Er spürt die Ungerechtigkeit dieser Gefühle, doch akzeptiert er, dass das fortgeschrittene Leben voll von diesen kleinen Unaufrichtigkeiten ist. Immerhin hat er es erkannt und arrangiert sich damit, während wohl viele Menschen gar keine Gedanken an derlei Realitäten verschwenden.

Doch ist „Wenn wir Tiere wären“ kein durch und durch ernster Roman. Immer wieder darf man schmunzeln und sich einfach nur an Sätzen wie diesem erfreuen: „Onanieren ist wie einen Film anschauen, in dem man Regisseur, Hauptdarsteller und Kameramann gleichzeitig ist.“

1 Kommentar:

  1. Hallo Karsten,

    Ich bin stinksauer. Ich habe dir ja bereits mitgeteilt, dass da eine seltsame Parallele zu sein schien, zwischen dem Buch namens "Wenn wir Tiere wären", und J.J.R.s "Ursprung zwischen Arm und Reich", welchem ich mich zur Zeit widme, worin eine Vorstellung des Naturmenschen skizziert wird. Diese Parallele hast du nun zerstreut. Und hast sie ersetzt durch die Wahrheit, dass niemals etwas ist, wie es scheint. Wenn Leute wie du irgendwann aussterben, was soll ich dann machen, der diese Wahrheit immer wieder vergisst? Also! Ran mit dem Buch, denn dank dir will ich es jetzt lesen! Gut gemacht.

    Benni

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