Donnerstag, 26. April 2012

Mit der Endurance ins ewige Eis - Ernest Shackleton

Nicht des ausgefallenen Schreibstils wegen hat mich diese Geschichte so fasziniert. Sie fesselte mich deshalb so, weil Sie, anders als die meisten Erzählungen und Filme, bei denen zwar das Gegenteil behauptet wird, was aber meist nur die Werbewirksamkeit erhöhen soll, komplett wahr und detailgetreu wiedergegeben ist. Und, obwohl ich dieses Wort normalerweise nicht in den Mund nehme, da es für mich immer einen faden Beigeschmack hat, weil sie von echten Männern, von wahren Helden handelt!

Wer sich bereits ein wenig mit Scott, Amundsen und Shackleton vertraut gemacht hat, weiß von dem vergeblichen Versuch des Letztgenannten, mit der Durchquerung der Antarktis Geschichte zu schreiben, nachdem der Südpol bereits erobert worden war. Und wer noch nichts davon wusste, erfährt in einer als Vorwort getarnten Zusammenfassung der Ereigenisse vom allbekannten Yeti-Forscher Reinhold Messner, was genau sich in den Jahren 1914-1917 am Südpol zugetragen hat und dass (fast) alle Männer überlebten, nachdem Ihr kleines, braves Schiff vom Eis zerquetscht und in die Knie gezwungen worden war. Und dennoch, obwohl man vom glücklichen Ende weiß und bereits grob über die Abenteuer der Expeditionsmitglieder informiert wurde, klopft dem Leser an manchen Stellen das Herz hörbar. Zugegeben, wenn Shackleton uns an einigen Stellen in trockener Seemannsmanier die genauen Positionsdaten der Mannschaft zumutet, ist das für den Nicht-Nautiker schon kurzzeitig das Gegenteil von kurzweilig. Doch Schwamm drüber, der Mann war schließlich kein Schriftsteller sondern ein genialer, extrem mutiger, besonnener und überaus verantwortungsbewusster Abenteurer, der für seine Leute durchs Feuer (bzw. dessen Gegenteil) ging . Wie ein aus der Mode gekommener Offizier alter Schule (erneut ein Wort, welches ich normalerweise eher nicht mit positiven Eigenschaften assoziiere) ist Shackleton selber immer derjenige, der nach einem unmenschlichen Fußmarsch, als alle anderen ihre Wunden lecken und versuchen, sich ein wenig auszuruhen, noch auf einen weiteren Gipfel klettert, um die Lage zu erkunden oder die beste Route für den nächsten Tag auszukundschaften. Ein unglaublicher Typ muss das gewesen sein…

Doch was genau ist damals passiert, kurz nachdem in Europa der bis dato schlimmste Krieg angebrochen war? Von Feuerland aus kämpft sich Shackletons Team durchs Packeis so nahe wie möglich an das antarktische Festland heran, während von Neuseeland her ein zweites Team Gleiches versucht (und ähnlich schlimm scheitert), um den verrückten Durchquerern des kalten Kontinents entgegenzukommen und Lebensmitteldepots für sie anzulegen. Nur einen reichlichen Monat nachdem Shackletons Endurance die letzte bewohnte Insel South Georgia hinter sich gelassen hat, wird sie vom Packeis eingeschlossen und treibt nun mit diesem Richtung Norden. Die Männer haben derweil noch ausreichend Nahrung und Abwechslung (wiewohl man sich schwerlich vorstellen kann, wie es 25 Kerle auf so einem kleinen Boot in dieser Kälte aushalten, ohne sich gegenseitig aufzufressen). Sie spielen Fußball auf dem Eis, jagen Robben und Pinguine (ja, das klingt total fies - aber wieso ist es für uns eigentlich schlimmer, einen frei lebendem, glücklichen Pinguin zu essen als ein in einem stinkenden Käfig mit kotdurchlässigem Gitterboden eingepferchtes Schwein, das nie im Leben den blauen Himmel sehen durfte?) und hoffen noch, im nächsten Sommer wieder frei zu kommen und die eigentliche Reise antreten zu können. Doch nach monatelangem Bangen wird es immer mehr Gewissheit: Die Endurance wird vom ungeheuerlichen Druck des Eises zerquetscht werden, und so legen die Männer nach 9 Monaten Gefangenschaft, die die besten Monate für eine sehr lange Zeit gewesen sein sollten, ihr „Ocean Camp“ auf einer Eisscholle an. Noch haben sie Zeit, überlebenswichtige Dinge vom Schiff zu retten, doch schließlich sinkt es und dem ein oder anderen der wilden Kerle dürften die Tränen im Gesicht gestanden haben, so wie unsereins, als wir vom warmen Kinosessel aus die Titanic mit Leonardo DiCaprio und der schönen Kate Winslet im kalten Wasser untergehen sahen. Mit Hilfe ihrer Schlittenhunde, eines Motorschlittens, der mehr schlecht als recht seinen Dienst tat und ungeheuerlichen Kraftanstrengungen kämpfte sich die Mannschaft nordwärts (die Antarktisdurchquerung war mittlerweile abgehakt worden denn es ging nur noch darum, irgendwie aus dieser Eishölle heraus zu kommen und nicht allzu viele Gliedmassen durch Erfrierungen einzubüßen). Die drei Rettungsbote, auf dem Eis ungeheuer schwer und riesig groß, auf dem offenen Meer später winzig klein und leicht wie eine Feder auf dem Wasser hüpfend, mussten dabei natürlich immer irgendwie mitgenommen werden. Der ein oder andere dürfte darob wohl ein wenig ins Schwitzen gekommen sein. Als dann eines Nachts die driftende Eisscholle exakt unter Sheckletons Zelt zerbrach, war es Zeit, die Boote zu Wasser zu lassen. Aber dies geschah eben nicht auf dem Cospudener See sondern irgendwo in der windigsten Region der Erde zwischen Feuerland und Antarktis. Doch es waren ja „nur“ weniger als 200km bis nach Elephant Island und die Temperaturen waren mit minus 13 Grad noch ganz angenehm. Zumindest im Vergleich zu den minus 30 Grad, die die durchweichten, ausgedörrten und vom fehlenden Schlaf ausgezehrten Männer einige Tage später aushalten mussten. Wie man so eine Strapaze überhaupt überleben kann, ist mir unvorstellbar. Aber wie sich ein kleines Team von 6 Leuten nach nur wenigen Tagen Erholung erneut in so eine kleine Nussschale begeben konnte, um nach South Georgia zu segeln, ist mir absolut unbegreiflich (und dennoch notwendig, schließlich gab es auf Elephant Island weder eine warme Gaststube noch einen Hafen, an dem von Zeit zu Zeit die Ausflugsdampfer anlegten, um die Gestrandeten mit zurück in die Zivilisation zu nehmen, ja, noch nicht einmal ausreichend Robben und Seeelephanten zum Verzehr). Nach genau 14 unbeschreiblichen Tagen (und noch schlimmeren Nächten) im nassen Boot, inmitten von Schneestürmen und wahnsinnigen Wellen, nach einer gerade so überstandenen Sturzwelle und mit einem Durst, den kein Mitteleuropäer nur ansatzweise je erlebt hat, liegt nun endlich die rettende Insel vor den mittlerweile zu guten Freunden des Lesers gewordenen Männern, und man freut sich mit den Leidenden über ihre Rettung. Doch noch ist es nicht so weit. Zwei ganze Tage dauert es noch, bis sie endlich einen Weg durch die Klippen an den Strand finden, zwei Tage, in denen sie das rettende Ufer mit seinem Eis, das besser mundet als das leckere, cremige polnische Softeis, zwar sehen aber nicht berühren können und vor Hunger und Durst fast verrückt werden. Und nun die Rettung? Denkste! 36 Stunden kämpfen sich nun Shackleton und zwei Begleiter über Gletscher und Eisfelder, durch Nebel und meterhohen Schnee, bis Sie endlich ganz leise die Dampfpfeifen der Walfangstation hören durften, ein Geräusch, das für die seit anderthalb Jahren von der Außenwelt abgeschnittenen schöner war als Bachs Toccata und Fuge in D-Moll. Aber noch immer waren sie nicht am Ziel. Kurz vor dem rettenden Hafen musste sich noch direkt durch einen eiskalten Wasserfall hindurch abgeseilt werden, was bestimmt keine Freude sondern purer Überlebenskampf war.
Die drei auf der anderen Seite der Insel Zurückgebliebenen konnten schnell gerettet werden doch die 22 Männer auf Elephant Island mussten noch mehrere Monate darauf warten, dass der unermüdliche Sir Ernest Shackleton im vierten Anlauf doch noch durch das dichte Packeis zu ihnen vordrang.

Bis an diese Stelle macht das Lesen einfach ungeheuer viel Spaß, doch leider hat der Autor wenig erfolgreich versucht, in wenigen Kapiteln auch die Erlebnisse der Neuseeland-Truppe darzustellen, was leider nur sehr schlecht gelang. Nach all diesem Leiden und den durchlittenen Qualen fällt es schwer, sich mit den Männern gedanklich zu verbünden und zu solidarisieren, die genau so gelitten haben wie die Endurance-Crew und die für deren Durchkommen überlebenswichtig gewesen wäre.

Dass nach der Rückkehr nach England fast alle Expeditionsteilnehmer laut Shackleton darauf brannten, endlich dem Vaterland im Krieg dienen zu dürfen, tut weh (und das nicht, weil der Krieg gegen Deutschland geführt wurde sondern weil einige der Männer hier nun völlig sinnlos starben – aber wer stirbt schon sinnvoll wenn es Krieg ist?).

Ich persönlich habe nun zwar erst einmal genug von Kälte, Eis und rohem Robbenfleisch. Aber genau wie bei Shackleton wird es auch bei mir nicht lange dauern, bis ich weiter voranschreite in der Erforschung der Antartkis, denn durch einen glücklichen Zufall fand ich vor wenigen Wochen auf dem Dachboden Shackletons Bericht einer vorangegangenen Expedition ins Eis in einer Ausgabe von 1928. Antarktis: Ich komme!

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