Montag, 20. Februar 2012

Gefährliche Geliebte - Haruki Murakami

Ein weiterer Murakami, der ursprünglich verschenkt werden wollte, fiel mir dadurch, dass die potentiell Beschenkte diesen bereits gelesen hatte, zufällig in die Hände. Welch schöner Zufall. Denn wenn „Gefährliche Geliebte“ auch ganz anders, nicht so abgefahren und weitaus weniger mysteriös als „Kafka am Strand“ ist, so enthält auch dieses Werk einiges an nachdenkenswertem Stoff sowie unaufgeklärte Geheimnisse um die ein wenig mysteriöse Geliebte Shimamoto, deren Leben weitestgehend im Hintergrund bleibt, obwohl sie sowohl für diesen Roman als auch für das Leben von Hajime eine entscheidende Rolle spielt.

Wir lesen von einem knapp 40-jährigen Einzelgänger – das Alter Ego von Haruki Murakami? – der sein Leben samt Zweifeln und wichtigen Entscheidungen beschreibt. Nur an wenigen Anhaltspunkten erkennt der aufmerksame Leser, dass die Geschehnisse dieses Romans schon vor relativ vielen Jahren stattfanden. Ansonsten könnte man genauso gut denken, dass sich diese  Geschichte genau heute und hier ereignet(e). Und schon damals, so scheint es, war es in der westlichen Welt verpönt, wenn man seine spärliche Zeit einmal nicht auf irgend eine Weise gewinnbringend einsetzte, was der Ich-Erzähler treffend beobachtet und beschreibt, als er von den überall herumliegenden Zeitschriften berichtet: „Vielleicht befürchteten die Menschen, sie könnten unvermutet ein bisschen Zeit haben und nichts, um sie totzuschlagen, so dass sie nach irgendetwas schnappen, was ihnen gerade in die Finger kommt. Ich begreif’s einfach nicht.“ Ich auch nicht, Hajime!

Der junge Hajime hat, genau wie Kafka, kaum gute Freunde und schiebt dies darauf, dass er eines der wenigen Einzelkinder in seiner Mittelschichtumgebung mit Einfamilienhaus und Wagen vor der Tür ist, wo mindestens 2 Kinder zum Standardprogramm gehören. Kaum gute Freunde: Aber dafür eine richtig gute Freundin! Shimamoto (an die für uns ungewöhnlichen Namen und Orte gewöhnt man sich bei Murakami seltsamerweise immer recht schnell), die ebenfalls keine Geschwister, dafür aber ein hinkendes Bein hat. Mit ihr läuft er täglich gemeinsam von der Schule nach Hause und genießt dabei die in der Behinderung der 12-jährigen begründete Langsamkeit, ist er doch so länger mit ihr, von der er sich endlich verstanden fühlt, zusammen, was er außerordentlich genießt. Doch kann solch eine wunderbare „Sandkastenfreundschaft’’ für ewig halten? Leider nicht, denn mit dem Wegzug von Shimamoto in ein anderes Stadtviertel verliert sich der intensive Kontakt zunehmend, unweigerlich und unwiederbringlich. Keine gemeinsamen Nachmittage mehr auf der Couch von Shimamotos Eltern, nie wieder Zuschauen, wie sie äußerst behutsam, zärtlich, ja liebevoll des Vaters Schallplatten säubert und auflegt, vorbei das lauschende Zusammensitzen auf dem Sofa, unwiederbringlich vom Jetzt in die Vergangenheit transferiert: die klugen und anregenden Gespräche mit einer ähnlich fühlenden, ähnlich suchenden, ähnlich denkenden, ihn ähnlich liebenden kleinen Frau.

Kein junger Mensch will lange die Zweisamkeit missen und so verliebt er sich ein paar Jahre später in ein weder besonders hübsches noch besonders interessantes, dafür aber gutes und nettes Mädchen. Doch trotz aller aufrichtigen Zuneigung zu Ihr bleiben die Zweifel an der (Auf) Richtigkeit der Beziehung: „Izumi würde meinen Traum nie verstehen. Sie hatte ihre eigenen Träume, die Vision von einem völlig anderen Ort, einer Welt, die mit meiner kaum etwas gemein hatte“. Kann eine Beziehung mit solch einem wackligen Fundament wirklich in den Himmel wachsen? Izumi mag Hajime wirklich gern und freut sich auf die gemeinsame, zuweilen von Ihr jedoch schon mit einem Anflug von Zweifel hinterfragen Zukunft mit ihm. Auch sie stellt ihm diese, von unsicheren Geliebten oft benutzte Frage, die unbedingt verboten werden sollte (wäre nicht ein generelles Verbot aller Verbote die Grundlage der zukünftigen und erstebenswerten Gesellschaft): „Magst Du mich wirklich?“ Worauf ja wohl keine Antwort außer der Einen in Frage kommt. Doch dies ist es nicht, warum er ihr schließlich so weh tun wird. Auch die konsequente Weigerung, sich ihm auch körperlich zu öffnen, ist wohl nur hintergründig ein Auslöser für seinen rasanten und unehrenhaften Abgang. Izumis um drei Jahre ältere Cousine und deren extreme körperliche Anziehungskraft sind dafür verantwortlich. Gepaart mit dem uns von unseren wilden Vorfahren mitgegebenen Trieb. Die beiden verbringen einige, wenn auch nicht wirklich viele, dafür jedoch wirklich wilde Nächte, in denen kein überflüssiges Wort gesprochen, kein uneinlösbares Versprechen gegeben sondern nur wild und verrückt gevögelt wird. Penisschmerzen inklusive. Als die etwas scheue Izumi schließlich davon erfährt, beendet sie die Beziehung sofort und erholt sich zeitlebens nicht mehr von diesem Schock. Grausam, wie viele Jahre später ein gemeinsamer Schulfreund von einer Begegnung mit ihr berichtet: „Die Kinder haben Angst vor ihr“. Dass man einem anderen Menschen nur dadurch, dass man lebt, irreparablem Schaden zufügen kann…

Für Hajime bricht erneut eine lange Periode der Einsamkeit und Unausgeglichenheit an, die auch der Job in einem Schulbuchverlag, den er fast 10 Jahre lang durchhält, nicht gerade angenehmer macht. Schließlich lernt er dann doch noch eine Frau kennen, die er heiratet und mit der er eine Familie gründet. Er liebt sie wirklich, schläft auch nach vielen Jahren noch 3 mal die Woche mit ihr, genießt sogar die tägliche Fahrt zum Kindergarten und das Singen von Kinderliedern mit seinen Töchtern und richtet sich so ein in diesem normalen Leben. Dank Yukikos reichem Vater, der Hajime einen dicken Batzen Geld borgt, richtet dieser sich 2 sehr gut laufende Jazz-Bars ein, muss zum Dank dafür aber auch seinen Namen für zwielichtige Geschäfte  hergeben. Alles läuft also ganz normal in Hajime’s Leben und er ist ziemlich zufrieden. Was sich schlagartig ändert, als seine Jugendliebe Shimamoto in einer der Bars auftaucht. Die alte Liebe zu ihr bricht in kürzester Zeit wieder auf und mit ihr die leichte Melancholie und Unzufriedenheit mit seinem Leben. Von nun an wartet er nur noch auf den nächsten Besuch Shimamotos, der manchmal Monate auf sich warten lässt aber doch immer wieder stattfindet. Die Wochen und Monate, in denen er sie nicht sehen kann, sind eine einzige Qual für ihn. Es gab doch:“… so vieles, worüber ich mit ihr reden, wozu ich ihre Meinung hören wollte. Wenn sie über sich nichts sagen mochte, meinetwegen. Sie nur sehen zu können, mit ihr reden zu können, wäre mir genug.“ Wer je wirklich geliebt hat, und zwar diese uneigennützige, wahre Liebe, die ohne Gegenleistung auskommt, weiß, wovon Murakami hier schreibt. Shimamoto tut Hajime jeden Gefallen, auch wenn er dafür seine Frau belügen muss, was ihm wirklich nicht leicht fällt. Als die alten Freunde zusammen darum bangen, einen Flug nach Hause zu verpassen, was Hajime seiner Frau niemals plausibel erklären würde können, da sie ihn wo ganz anders vermutete, überlegt er: „Im Unterbewusstsein hoffte ich, meine Frau würde herausfinden, dass ich mit Shimamoto hier war. Ich wollte Schluss machen mit Ausreden, den Lügen. Vor Allem aber wollte ich genau da bleiben wo ich mich befand, mit Shimamoto neben mir, und den Dingen ihren Lauf lassen.“

Gegen Ende der Erzählung sitzen beide zusammen im Auto, um in das Ferienhaus der Familie zu fahren. Hier macht Shimamoto ihm dann unmissverständlich klar, dass sie ihn zwar genau so liebt wie er sie, dass er sich aber entscheiden müsse. Entweder er bekommt sie ganz oder gar nicht. (Was genau sie damit meint, glaubt er lediglich, verstanden zu haben, denn es handelt sich um weitaus mehr, als darum, zusammen zu leben.) Woraufhin Hajime ohne lange zu überlegen seine Entscheidung trifft, was in einer wunderschön beschriebenen, ein wenig neidisch machenden Liebesnacht mündet. Sein weiterer Lebensweg scheint vorgezeichnet: Trennung von seiner Familie, dafür ein erfülltes, glückliches Leben mit seiner geliebten Shimamoto, gegebenenfalls hin und wieder ein paar Zweifel ob der Richtigkeit seiner Entscheidung. Doch bei Murakami kommt es immer anders als gedacht: Am Morgen ist Shimamoto weg, Hajime kehrt mit hängenden Ohren zu seiner Frau zurück, die – dumm ist sie keinesfalls – sofort erkennt, wo der Hase lang läuft und ihn direkt darauf anspricht, ob er eine andere Frau lieb habe. Wieder soll er sich entscheiden, was ihm in diesem Fall weitaus schwerer fällt. Wochenlang quält er sich mit der Frage, ob er seine Familie verlassen oder sich gänzlich auf sie einlassen soll, um mit ihr glücklich zu werden. Letztendlich erwidert er auf Yukikos Vorschlag, morgen ein neues Leben anzufangen: „Ich halte das für eine gute Idee“.

Sollte der Leser gehofft haben, aus den Entscheidungen des gequälten, sympathischen „Helden“ auch für sein eigenes Leben die richtigen Schlüsse ableiten zu können, hat er sich geschnitten. Da kann man wohl tausend Bücher zum Thema lesen, der Weg zum Glücklichsein will von jedem einzelnen selbst gefunden werden.

1 Kommentar:

  1. Sehr treffend beschrieben, wie ich finde, und an einigen Stellen schön zum Schmunzeln. ;)

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