Montag, 18. Februar 2013

Wenn wir Tiere wären – Wilhelm Genazino


Wenn Bücher sprechen könnten würde dieses dem Rezensenten bestimmt laute Vorwürfe machen und ob der vielen Eselsohren laut wehklagen. Dabei hätte es wirklich jede einzelne Seite verdient, mit einer solchen Markierung versehen zu werden, denn Wilhelm Genazino ist es doch wirklich gelungen, in jedem zweiten Satz eine kluge Lebensweisheit, eine feine Beobachtung oder eine gelungene Interpretation der uns alle umgebenden Zustände unterzubringen. Es sei hiermit in aller Deutlichkeit gesagt: Dieses Buch gehört in jeden Bücherschrank eines klugen und nachdenkenden Menschen, damit dieser immer wieder an einer wahllosen Stelle darin blättern kann um zu staunen, zu lächeln, sich zu freuen.



Genazino hat in diesem Büchlein einen netten, wenn auch ein wenig abgedrehten Mann erschaffen, der frei von Karrieregelüsten ist und den Erwerb materieller Güter soweit als möglich vermeidet. Dafür kann er sich, wie kaum eine anderer, an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen. Nur hat der Protagonist, trotz zweier Frauen, niemanden, mit dem er diese Freuden teilen könnte. Keiner hört ihm in diesen hektischen Zeiten zu, wenn er staunend berichtet: „Schon gefiel mir eine tiefschwarze Amsel, die auf einem gelben Postauto saß.“ Es tut gut zu wissen, dass es sie also doch noch gibt, die Männer, die das Angebot einer Festanstellung als Anschlag auf ihre Unabhängigkeit empfinden, als Attacke auf das innere Freiheitsgefühl. Und die sich nicht scheuen, Unterwäsche als das zu bezeichnen was sie ist und tatsächlich noch das Wort „Schlüpfer“ benutzen. Wo bitte kann man dieses herrlich unerotische und doch so aussagekräftige Substantiv heute noch finden?

Die Handlung an sich ist, im Gegensatz zum Inhalt, äußerst dürftig und in wenigen Sätzen erzählt: Ein freischaffender Architekt ist quasi gezwungen, sowohl den Schreibtisch als auch die Frau und das Auto eines befreundeten, festangestellten und verstorbenen Kollegen zu besetzen, obwohl ihm dies letztendlich seiner Freiheit beraubt. Seine Freundin Maria hat ihn dazu mit unschlagbaren Argumenten überredet, unwissend, dass auch die Witwe mit „der kindlichen Möse“ zum Deal dazugehört. Deren Tampon im Badschrank veranlasst nun Maria, die langjährige Beziehung aufzukündigen, was den Manne nicht besonders grämt (schließlich hatte er lediglich wegen seines fehlenden Mutes diesen Schritt nie selbst gewagt) und letztendlich dazu führt, dass dieser im Knast endet. Beziehungsweise zwischenparkt. Dort findet er es gar nicht so unangenehm, doch verliert er eine seiner bis zu diesem Zeitpunkt verinnerlichten Gewissheiten, nämlich, dass „Jugend und Unfug ursächlich zusammenhingen“.  Diese Überzeugung wird ihm durch den grausamen Anblick alter Schlagerstars während der wöchentlichen Fernsehstunde ausgetrieben. Nach der baldigen Entlassung (keine Fluchtgefahr) findet das Paar für eine Weile wieder zusammen und der Architekt flieht nun nach erfolgtem Beischlaf nicht mehr aus dem Bett in eine Bar, wie er es in der Vergangenheit meist getan hatte. (Damals hatte er es sehr genossen, dass wenigstens dieser Punkt geklärt war, denn die Frauen: „…sehen sofort, dieser Mann wird wenigstens vorübergehend nicht von seinem Hauptanliegen gequält“.) Jetzt also bringt er sogar einen Schlafanzug als Zeichen seines guten Willens mit zur Freundin.  Diese sorgt sich fortan wie eine Mutter darum, dass das Leben des Eigenbrötlers  nicht in einer Katastrophe endet, was erneut ein Grund zur (man darf vermuten: zeitlich befristeten) Trennung ist und mit den sagenhaft präzisen Worten kommentiert wird: „Eine unerlaubte Erleichterung übermannte mich.“

Ähnlich lakonisch bringt der Antiheld, der von sich sagt: „Selbstverständlich hatte in meinem Leben der gute Beischlaf einen dreimal höheren Wert als das gute Gespräch.“ zum Ausdruck, was die meisten Männer fühlen aber nicht zu denken wagen. Oder gar auszusprechen. 

Doch auch den Frauen, die Ihre (Ehe) Männer in deren Verhalten nicht richtig verstehen und sich immer wieder über diese ärgern, sei dieses Büchlein wärmstens anempfohlen. Dass Männer nun mal hin und wieder gern allein sind, ungern Shoppen und selten neue Bettwäsche aufziehen, ist in deren Genen fest verankert und nicht im geringsten Ausdruck bösen Willens. Der Protagonist ist ein wirklich extremes Exemplar dieser Spezies und vereint all diese für Frauen völlig unverständlichen Eigenschaften auf eine zugespitzte Art und Weise, doch macht ihn gerade dies so aufrichtig und unangreifbar.

Genazino schreibt hier mit einer derartigen Lebensweisheit, dass dem Leser immer wieder kleine Aha-Erlebnisse in den Sinn kommen. Man weiß genau, wovon er berichtet aber kaum Einer kann es so prägnant ausdrücken wie er, etwa wenn es nach einem Streit des Paares heißt: „Ich schwieg eine Weile, dann stand ich auf und ging auf die Toilette… Maria und ich sind in der Toilettenphase angekommen, dachte ich unfroh. Die Toilette war die kürzeste mögliche Flucht und die kürzeste mögliche Rückkehr…“ 

Am Beispiel eines unangepassten Menschen wird hier genau das aufzeigt, was Viele schon lange ahnen aber nicht auszudrücken wissen. Nämlich dass dieses ständig von Allen geforderte Wachstum, diese Konsumorientiertheit, der Zwang nach Angepasstheit, auf Dauer nicht gut gehen können. Nur versteckt der Autor diese Gesellschaftskritik gekonnt in Aussagen wie: „Ich wusste längst, dass jeder Mensch einsam war.“ Diese Tatsache anzuzweifeln wäre so „… töricht gewesen, (wie) von Zeit zu Zeit darauf hinzuweisen, dass alle Menschen immer mal wieder pinkeln mussten uns sich abends schlafen legten.“

Und wer hat sich jemals schon so hinreißend und ausführlich über den Unterschied zwischen Staub und Schmutz ausgelassen, wie Genazino? Dessen Architekt wollte seiner Freundin Maria während einer Diskussion anlässlich der Beerdigung eines Kollegen „… nicht erklären, dass es ein angenehmer metahphysischer Zustand ist, Schuhe bei ihrer fortlaufenden Selbsteinschmutzung zu beobachten.“ Und so verliert er sich in Betrachtungen darüber, dass etwas von selbst staubig wird aber die Verschmutzung ein aktiver Vorgang ist, der mit dem „selbständigen Eintauchen in ein Konzentrat von Ausscheidungen…“ einhergeht.  Ähnlich fesselnd sind seine Betrachtungen über die Schönheit, die man leider nur anschauen aber nicht mit nach Hause nehmen kann. Als Beispiel dient hier, wie sollte es anders sein, der Anblick einer weiblichen Brust, wenngleich sich der Nachdenkende hier nicht ganz sicher ist, ob eine weitgehend freiliegende Frauenbrust (einer Stillenden) eine kleine oder schon eine größere Schönheit ist. Wem die hier genannten Beispiele intellektueller Betrachtungen weltlicher Probleme möglicherweise ein wenig zu belanglos erscheinen mögen, der studiere Genazinos Gedanken zum Thema Unaufrichtigkeit in Beziehungen. Der Ich-Erzähler ist jedes Mal erleichtert, wenn seine Freundin nach einem gemeinsamen Wochenende dessen Wohnung wieder verlässt. Da er diesen Konflikt nicht richtig erklären kann (schon gar nicht gegenüber der Freundin) sondern nach deren Weggang lediglich so etwas wie Freiheit und Unbelastetsein empfindet, hält er lieber den Mund und leidet still in sich hinein. Er spürt die Ungerechtigkeit dieser Gefühle, doch akzeptiert er, dass das fortgeschrittene Leben voll von diesen kleinen Unaufrichtigkeiten ist. Immerhin hat er es erkannt und arrangiert sich damit, während wohl viele Menschen gar keine Gedanken an derlei Realitäten verschwenden.

Doch ist „Wenn wir Tiere wären“ kein durch und durch ernster Roman. Immer wieder darf man schmunzeln und sich einfach nur an Sätzen wie diesem erfreuen: „Onanieren ist wie einen Film anschauen, in dem man Regisseur, Hauptdarsteller und Kameramann gleichzeitig ist.“

Montag, 11. Februar 2013

Fern wie die Zeit – Florian Popp


Da gibt es überhaupt keine Frage: Hieße Florian Popp nicht Florian Popp sondern hätte das Manuskript dieses ungewöhnlichen und spannenden Krimis beispielsweise als Wolfang Herrndorf an einen Verlag geschickt, dann hätten beide Seiten damit eine Menge Geld verdienen können. Aber nun ist der Autor dieser mitreißenden Geschichte eben (noch) ein unbekannter junger Mann ohne Namen, und so muss er andere Wege finden, diese Story unters Volk zu bringen. Wie genau man in den Genuss dieser Lektüre kommen kann?  Vom Ende dieser Rezension sie nur noch einen Klick weit entfernt.



Oberflächlich betrachtet säuft und prügelt sich auf diesen reichlich 300 Seiten ein ziemlich cooler Privatdetektiv durch ein Dorf am Ende der Welt in einem unbekannten Land. Wie er sich dabei immer wieder aus schier hoffnungslosen Situationen befreit und dabei jeweils mit lediglich einem weiteren blauen Auge davon kommt, das lässt den Leser immer wieder staunen und nötigt ihm Respekt ab. Und ist Indiz für die grenzenlose Phantasie des Schriftstellers. Schaut man dann genauer hin, stellt man fest, dass der Protagonist ein wirklich netter Bursche ist, der sowohl feste austeilen als auch ordentlich einstecken kann und doch unter seiner harten Oberfläche einen sanftweichen Kern beheimatet: „Nostalgie war eine machtvolle Droge, und ich neigte dazu, mich mehr mit ihr zu bedröhnen, als mir gut tat.“ Deutlich wird dies auch, wenn er seine Pensionswirtin auf dem Friedhof trifft und mit ihr ins Plaudern über die vor Jahren auf See verschollenen Familienmitglieder gerät oder wenn er die blutjunge Phil, die ebenso wie er in diesem Dorf als Fremde gestrandet ist, völlig ohne Hintergedanken (soweit das einem Mann überhaupt möglich ist) zum Picknick einlädt. Sehr einfühlsam und mit der Erfahrung eines Mannes, der schon alles gesehen und sehr vieles erlebt hat, erlangt er das Vertrauen des Mädchens, ohne es zu missbrauchen, wie es ihr eigener Vater vor Jahren getan hatte. Welcher für diese Tat mit seinem Leben bezahlen musste, obwohl er sich doch so sicher war, dass dieser Preis im niemals von irgendjemandem, nicht einmal vom Schöpfers selbst, abverlangt werden könnte. Womit wir wieder bei der eigentlichen Handlung angekommen wären: Die Dorfgemeinschaft ist durch ein Geheimnis eng verbunden, das mit den Bildern des aus der Stadt verschwundenen und vom Detektiv nun hier aufgespürten Malers und dessen Lehrers zu tun hat. Dieses Rätsel ist nun nicht nur ziemlich unvorstellbar und unrealistisch, wie so vieles in Film und Buch (weshalb solcherlei Geschichten ja gerade erst geliebt werden), sondern auch Ursache des einzigen kleinen Kritikpunktes des Rezensenten. Dies hat nun aber weniger mit den seltsam machtvollen Bildern an sich als vielmehr mit des Kritikers Abneigung gegen fiktionale Literatur zu tun. Kein Grund zur Sorge also, denn so unglaublich die Story auch ist, so  rasant verläuft sie von Anbeginn und so fesselnd nimmt sie den Leser sofort in seinen Bann. Doch, und das unterscheidet eine normale von einer richtig guten Geschichte und trennt die Spreu vom Weizen der Schriftstellerei: Hier wird nicht einfach nur stringent erzählt, was der Mann, dessen Name nicht genannt wird, im Dorf erlebt und anstellt. In genau der richtigen Dosierung werden Rückblenden, Erinnerungen und einige seiner im Kopf säuselnden Gedanken eingeschoben, womit dem Manne nicht nur ein Gesicht sondern auch eine Persönlichkeit gegeben wird. Popp versteht es hervorragend,  durch gezielt eingefügte Ideen und Grübeleien des Helden die teilweise bedrückende Stimmung wunderbar aufzulockern und schafft es durch kurze Sätze wie: „Zufrieden wartete ich auf die Reaktion. Die Reaktion lies ebenfalls auf sich warten.“ den Leser in der spannendsten Szene kurz zum Schmunzeln zu bringen.
Überhaupt sind es die vielerlei unkonventionellen aber durchaus nachvollziehbaren Gedanken des Detektives bzw. seines Schöpfers, die der Geschichte ihren unvergleichlichen Touch verleihen und Lust auf mehr Florian Popp machen. Und wann durfte man schon solche phantastischen Anmerkungen lesen wie diese: Gehen Sie jetzt, BITTE!“, und das Gehen war tatsächlich kursiv. Und das Bitte in Kapitälchen gesetzt.“ ?
Die in diesem Roman immer wieder vorzufindende Aneinanderreihung von ziemlich fieser Gewalt und Härte auf der einen und der Beschreibung von sensiblen Gefühlen auf der anderen Seite, wirken weder kitschig noch langweilig sondern kommen sehr authentisch beim Leser an: „… und ein zarter Duft stieg auf von ihrer Haut. Dann kam ein weiterer Windstoß, und der Duft war Geschichte, aber eine Erinnerung war geweckt.“ Wer könnte nicht solch einen Duft mit ein wenig Konzentration jederzeit heraufbeschwören und ohne Mühen in Erinnerung an Vergangene(s) schwelgen? Den Rezensenten jedenfalls wird wohl in Zukunft immer bei der Lektüre von Detektivgeschichten oder der Beschreibung einsamer Orte am Meer die Erinnerung an „Fern wie die Zeit“ einholen. Was es mit dem Titel auf sich hat? Ganz einfach:  „Sie [die Zeit] hatte wichtigere Dinge zu tun, als sich um dieses abgelegene  Dorf zu kümmern; hier unterhielt sie nur eine kleine Außenstelle, und die war nicht oft besetzt.“

Und hier geht’s zum Ebook:

Im Laufe des März wird es dann auch ein gedrucktes Buch geben und zwar bei:

Freitag, 1. Februar 2013

Reflexionen eines Suchenden – Oleander Auffarth


Mit Reiseberichten verhält es sich ja oft so, dass zwar von unglaublich interessanten Erlebnissen und Erfahrungen in fernen Ländern erzählt wird, dies jedoch nicht von einem Schriftsteller sondern von einem Reisenden. Den literarischen Erwartungen des Lesers werden daher nur wenige Werke dieses Genres wirklich gerecht.
Ein wenig verhält es sich so zwar auch mit den hier vorliegenden Reflexionen eines Suchenden, doch hebt sich diese Reisebeschreibung von ähnlicher Literatur dadurch ab, dass das Erlebte und Gesehene zudem genau betrachtet und analysiert wird. Hier ist deutlich zu erkennen, dass da einer schreibt, der uns nicht nur auf eine Reise in den Kaschmir und nach Indien mitnehmen will sondern auch in sein Innerstes. Auffarth spart nicht mit eigenen Gedanken, Gefühlen, Emotionen und philosophisch angehauchten Überlegungen über den Zustand der Welt sowie des Lebens an sich. Man spürt regelrecht, dass hier einer aufgebrochen ist, um ein Dasein jenseits von Kommerz, Statik, Bürgerlichkeit und festgesetzten Glaubensmustern zu suchen. Einer, der nicht weiß, wohin er gehört – dies aber im Gegensatz zu so vielen Menschen auch offenherzig zugibt. So wird im umfangreichen ersten Kapitel sehr ausführlich über die Lebensumstände und großen Lebenskrisen des jungen Autors berichtet, die oft in Alkohol- und Drogenexzessen endeten. Diese einführenden Erläuterungen werden möglicherweise den einen oder anderen Leser abschrecken und hätten sicherlich ein wenig kürzer gehalten werden können. Gleiches gilt für den ersten Teil des Abenteuers, das nach Griechenland und Istanbul führt. Doch kann man nur durch Sätze wie diesen, der die Erlebnisse einer vorangegangenen Afrikareise und die erschreckenden Lebensumstände der dortigen Bevölkerung reflektiert, verstehen, was den Autor antreibt, warum er so unzufrieden ist und wonach er sucht: „Wie konnte ich glücklich sein im Angesicht ihres Elends? Wie konnte überhaupt jemand glücklich sein?“



Solcherlei nahegehenden  Betrachtungen sind wohl notwendig, um den Grund für Auffarths erste Asien-Reise, die den radikalen Ausbruch aus seinem bisherigen Leben begründet, und das dabei Erlebte besser einordnen zu können. Schließlich werden in diesem Werk, das mit zunehmender Seitenzahl immer spannender zu lesen wird, nicht einfach Fakten über Sehenswürdigkeiten und Fahrtrouten aneinander gereiht. Vielmehr werden wir Teil der Suche nach Lebenssinn, auch wenn fraglich ist, ob dieser wirklich nur an einem einsamen Strand in Goa unter gleichgesinnten Aussteigern und Weltenbummlern zu finden ist. Dass Auffarth sich dort das erste Mal seit seiner Kindheit wirklich verstanden fühlt und mit sich und der Welt im Reinen das Hier und Jetzt genießen kann, weshalb es für ihn definitiv der richtige Ort ist, wird während der Lektüre sehr anschaulich, wenn er schreibt: : „…die Sonne fand den Weg in mein Herz.“

Wer auf seinen Urlaubsfahrten schon ähnlich zwielichtigen Gestalten begegnet ist wie unser Suchender oder die aufregende Unsicherheit kennt, die Backpacker-Reisen in fremde Länder und Kulturen mit sich bringen, kann insbesondere die Erlebnisse im mittlerweile viel friedvolleren Kaschmir nachvollziehen. Denn der Autor lässt eigene Fehler in der Reiseplanung und der Bewertung von bestimmten Situationen vor Ort nicht einfach aus, sondern hadert öffentlich mit sich selbst und erklärt dann später, wie gerade diese schlechten Erfahrungen dann zum Gesamterfolg der Reise beitrugen. Denn solcherlei negative Erlebnisse sind einfach Teil eines lebenslangen Lernprozesses. Somit ist dieser Lebens- und Reisebericht nicht nur für alle zukünftigen Indientouristen empfehlenswert sondern ebenso für alle Suchenden. Äußerst einfühlsam werden hier Einblicke in die indische Gesellschaft vermittelt, wobei von Verurteilungen oder abschätzigen Bemerkungen gänzlich abgesehen wird. Respekt den Menschen und deren meist vollkommen anderen Lebensumständen gegenüber stehen im Vordergrund. Sehr achtsam aber durchaus ehrlich bekennt Auffarth dann auch, dass ihn die oft in großen Gruppen anzutreffenden Israelis am meisten zu schaffen machten, was überhaupt nichts mit Rassismus oder gar Antisemitismus zu tun hat sondern lediglich das Extrakt seiner Erfahrungen und Erlebnisse mit eben dieser Backpacker-Spezies darstellt. Schließlich versucht er, deren Verhalten zu er- und begründen und schließt sofort an, dass fast jede größere Gruppe ein besonderes, meist nicht sehr sensibles Verhalten an den Tag legt, weshalb er es vorzieht, größtenteils allein zu reisen. Ein wenig schmalzig erscheint dann zwar die Aussage „Ich fühlte mich eng mit den einfachen und quicklebendigen Menschen verbunden. Sie waren nichts anderes als meine Brüder.“ doch zeigt sie eben genau, was den Unterschied zwischen Tourismus und Reisen ausmacht. Allein die Welt zu erkunden, das ist die beste Schule fürs Leben, zumindest, wenn man dies mit offenem Auge, wachem Verstand und einer positiven, relaxten Einstellung angeht.

Wer würde schon, wenn er einmal im Leben die Chance hat, an einem Teaching des Dalai Lama höchstpersönlich teilzunehmen, darauf verzichten? Auffarth trifft diese Entscheidung ganz bewusst, weil er sich, trotz großer Anerkennung für dessen Lebenswerk, nicht in die Reihe abertausender Indientouristen einreihen will, die allein in Yoga und klugen Worten die Erleuchtung zu finden hoffen. Und dennoch oder gerade deswegen lernt er hier in Dharamsala am Ende einer dieser Veranstaltungen eine wichtige Lektion: „Während die Touristen tief in Gedanken versunken waren, verließen die Mönche lachend den Ort. Scheinbar ließ sich die Botschaft des Dalai Lama besser mit dem Herzen verstehen als mit dem Verstand.“

Ähnlich verhält es sich mit der Bereitschaft, das für die meisten Mitteleuropäer unvorstellbare Gewusel und Gedränge, das in den meisten indischen Großstädten herrscht, nicht einfach nur zu ertragen, sondern sogar zu lernen, es lächelnd zu genießen. Genauso wie der Autor erlebte auch ich das drückend heiße Delhi: „Doch inzwischen empfand ich eine geradezu irre Freude, Teil dieses Chaos zu sein.“

Ein wenig schade, doch nicht wirklich wichtig für die Gesamtbewertung dieses Buches ist die Tatsache, dass der Lektor recht ungenau gearbeitet und häufig fehlende Wörter oder schlecht kombinierte Wechsel der Zeitform nicht korrigiert hat. Hier wünscht man sich für das geplante Folgebuch mehr Achtsamkeit und Sorgfalt, damit die Lektüre dann auch wirklich zu einem echten Lesevergnügen wird.

Bei der Beschreibung einer Szene, die eigentlich sogar recht gefährlich war, kann man schließlich einmal schön zum Schmunzeln kommen. Als Auffarth mit dem Finnen Frank einen Bhang Lassi trinkt, der anscheinend aus hochkonzentriertem Marihuana gemacht wurde, und die beiden völlig desorientiert, paranoid und reizüberflutet in einer total überfüllten, dunklen Stadt nach ihrem Hotel suchen, lacht der Finne immer wieder lauthals über ihre aussichtslose Situation. Als sie schließlich irgendwann dann doch noch der zähen Masse aus Händlern, Pilgern und Rikschas  entkommen waren, schaffte Frank es … „noch auf die Dachterrasse und konnte sich knapp zwei Stunden nicht mehr bewegen und lachte ohne Pause.“ Reiche mir doch einer dieses Lassie!

Montag, 21. Januar 2013

Shades of Grey, Gefährliche Geliebte – E.L. James


Ein wenig verhält es sich mit diesem Weltbestseller genau so wie mit dem berühmten Kinderüberraschungsei. Weltweit fallen täglich Millionen Kinder auf den Spruch: „Willst du etwas Spannendes, was zum Spielen und Schokolade?“ herein, nur um sofort nach Verzehr der weiß-braunen Hülle enttäuscht und mit verdrecktem Mund vor einen Mini-Puzzle oder einem hässlichen Plastikauto zu hocken. Schneller als eine Buchseite umgeblättert ist, gerät das Dings in Vergessenheit oder fliegt in den Müll. Bücher schmeißt man normalerweise nicht so schnell weg aber zum Glück kann man sie weiterverschenken oder zurück in die Bibliothek bringen.



Ich gebe ja zu, dass einige der Sexszenen zwischen der blutjungen Anastasia und dem ach so erfolgreichen, herrlich duftenden, überaus klugen, wahnsinnig reichen, extrem erfahrenen, ein wenig gefährlichen, überaus zärtlichen, teilweise etwas gewalttätigen Christian (ich höre hier lieber auf, bevor der Leser auf die Tastatur kotzt), durchaus anregend sind. Doch wer aufgrund der Werbung oder heimlich zugeflüsterter Empfehlungen nun mit wirklich schmutzigen Perversionen rechnet oder neue Ideen für sein eigenes Liebesleben recherchieren will, wird ziemlich enttäuscht. Vielmehr lebt das Buch von Andeutungen über die Dinge, die in Band 1 der Trilogie nachzulesen sind, welcher dann mit der vorübergehenden Trennung des ungleichen Paares endete. Christian hatte dort wohl beim Dominieren seiner Sub ein wenig über die Stränge geschlagen.
Aber immerhin erfährt man im hier besprochenen zweiten Teil, dass es auf dieser Welt doch noch Männer gibt, die eine Frau glücklich machen können. Und das nicht ausschließlich mit Geld (schließlich verdient dieser Mann pro Arbeitsstunde sage und schreibe 100.000$, was dann ja wohl wirklich pervers ist) sondern auch mit einer dermaßen ausgeprägten Libido, dass es dem Otto Normalo schier die Sprache verschlägt. Von Erektionsproblemen hat unser CEO noch nie gehört, und auch der mittlerweile wahrscheinlich ebenso reichen Autorin scheint unbekannt zu sein, dass Männer eben nicht mehrfach hintereinander ihren Liebessaft in solch verschwenderischen Mengen absondern können, wie sie es ihren selbst erschaffenen Traummann hier fertigbringen lässt. Aber gut, man darf ja noch träumen, und nichts anderes als der Traum einer ausgehungerten Britin ist diese Geschichte.
Zwischen die ständigen Bett-, Fahrstuhl-, Fußboden- und Tischszenen versucht James, ganz die wahrhafte Schriftstellerin, noch ein wenig Handlung einfließen zu lassen. Sogar so etwas wie Spannung und Mysterium möchte sie uns hier verkaufen, etwa wenn von dem durch die heldenhaften Flugkünste des Übermenschen Christian vermiedenen Hubschrauberabsturz berichtet wird oder eine ehemalige Gespielin bewaffnet durch Seattle streift. Völlig daneben jedoch dann die Schlussszene, in der ein komplett neuer literarischer Stil bemüht wird, nur um die Spannung künstlich nach oben zu schrauben. Schließlich soll der dritte Band genauso viel Geld in die Kassen bringen, wie es die ersten beiden getan haben. Eine durchaus nachvollziehbare Strategie ist dieses Ansinnen zwar aber dennoch ein wahrlich schlechter Habitus.
Vielleicht kritisiert der Rezensent das Gelesene aber auch nur deshalb so stark, weil er sich einfach nicht in die Gedankenwelt der Millionen (Haus-) Frauen versetzen kann, für die diese Geschichte ob ihrer Unmöglichkeit einfach nur eine Flucht aus der öden Realität darstellt. In dieser verabreichen zahlreiche Männer ihre Schläge und Demütigungen ohne sexuellen Hintergrund und haben wohl weniger die feminine Lustbefriedigung im Auge als den reinen Abbau ihrer Aggressionen. Denn zumindest das Eine kann man Christian zu Gute halten, nämlich dass er es mit perfekter Erfolgsquote schafft, Ana zu immer stärkeren Orgasmen zu führen, so dass man es regelrecht mit der Angst zu tun bekommt, wie exzessiv und laut diese dann im (hoffentlich) letzten Teil ausfallen werden. Über die Frage, ob es wirklich möglich ist, dass beide Partner ausnahmslos zum gleichen Zeitpunkt zum Höhepunkt kommen, braucht man nun wirklich nicht weiter nachzudenken. Frau muss nur den richtigen Partner finden, womit wieder einmal bewiesen ist, dass ein Roman eben immer auch einen Anteil Fiktion beinhaltet. Oder aber dass man mit Geld eben doch alles kaufen kann.
Zustimmen kann der Rezensent einer der Grundaussagen dieses Buches, so diese überhaupt gewollt sind: Sex heilt. Und zwar von so ziemlich allen Krankheiten. Denn krank ist (oder war) dieser Mann ohne Frage. Doch was etliche Psychologen, Psychiater, Berater und Therapeuten über viele Jahre hinweg nicht vermochten, schafft diese Frau auf wundersame Weise in nur wenigen Wochen. Nun bleibt nur zu hoffen, dass sie ebenfalls in der Lage ist, ihm seine nervende Eifersucht und seinen wahrlich krankhaften Beschützer- und Überwachungswahn abzugewöhnen. Mit Sicherheit wird ihr auch dies bald gelingen.
Doch ob es den Turteltauben auch gelingen wird, ihre wahnsinnige Sexfrequenz und regelrecht abartig starke Liebe auch noch nach drei Monaten, Jahren, Kindern, Urlaubsfahrten etc. aufrecht zu erhalten, wird wohl jeder hinterfragen, der bereits in den Niederungen des Alltags angekommen ist. Beginnt nicht jede große Liebe mit der Gewissheit „Tief im Herzen weiß ich, dass unsere Liebe ewig währen wird.“ ? Traurig wäre es, wenn diese absolute Sicherheit nicht am Anfang einer jeden leidenschaftlichen Beziehung stünde. Doch ist die Zeit eben nicht nur fähig, alle Wunden zu heilen sondern auch alle Illusionen zu relativieren.
Zum literarischen Niveau von Shades of Grey muss sicher nicht viel geschrieben werden. Keiner hat erwartet, dass es sich hierbei um ausgewählte Qualitätsarbeit handelt oder mit neuen Stilmitteln experimentiert wird, doch manchmal nerven die ewigen Wiederholungen nur noch. Scheinbar per Zufallsgenerator sind Sätze an beliebigen Stellen eingefügt, die dann beispielsweise so klingen: „Wieso schafft es dieser Mann jedes Mal, mich so aus dem Konzept zu bringen?“oder „Ich halte es schon jetzt vor Aufregung kaum aus“. Und wenn dann noch ständig Anas „innere Göttin“ erwähnt wird, will man es einfach nur hinter sich bringen und schafft es, diese 600 Seiten binnen einer Woche zu überfliegen, nur um endlich wieder zu einem richtig guten Buch zu greifen.