Schon länger hatte ich kein Buch mehr gelesen, dessen
Handlung in Israel spielt und so lieh ich mir vor dem Sommerurlaub in der
Bibliothek dieses aus. Schließlich stand es auch auf meiner immer länger
werdenden Bücherliste und klang zudem noch sehr vielversprechend. Doch ist es
für die Handlung vollkommen unbedeutend, wo sich diese kleine Familie, von der
hier berichtet wird, auseinanderlebt. Ganz genauso spielt sich dieses Drama in
Berlin, New York, Moskau oder Tokio ab, millionenfach und immer wieder.
Der Einstieg in diese Geschichte ist nicht ganz leicht zu
finden. Vielleicht liegt es am Stil der Schriftstellerin, die jegliche
Anführungszeichen, welche normalerweise Dialoge kennzeichnen, einfach weglässt
und diese stattdessen einfach in ihre Überlegungen und Beobachtungen einbaut.
Vielleicht liegt es auch an der düsteren Stimmung, die aufkommt, wenn gleich zu
Beginn von der seltsamen Krankheit des Ehemanns der Ich-Erzählerin berichtet
wird. Udi kann seine Beine nicht bewegen, doch findet man im Krankenhaus
keinerlei physische Störung, stattdessen will man ihn auf die psychiatrische
Abteilung verlegen, wovon er absolut nichts wissen will. Eine kurze Zeit lang
geht es ihm scheinbar besser, worauf das Ehepaar einen Kurztrip ins israelische
Hinterland unternimmt. Eigentlich wollten sie hier ihre Liebe auffrischen, doch
es will nicht so recht gelingen. Wie bei vielen Paaren, die schon eine halbe
Ewigkeit zusammen sind (die beiden hier sind es, seit sie 12 waren), hat jede
Situation so oder so ähnlich bereits mehrfach stattgefunden und ist mit Erinnerungen
verknüpft, die nicht nur positiv sein müssen. Und genau das formuliert Udi nach
einem erfolglosen Versuch, sich im Bett zu versöhnen mit den Worten: „… vielleicht brauchst Du einen neuen
Mann…mit mir kannst Du Dir selbst nicht entkommen, ich erinnere Dich an jede
Minuten Deines Lebens….Es verletzt mich, dass Du mich nicht wirklich willst,
sondern mir nur einen Gefallen tust, damit sich meine Laune bessert…“
Trotz der angespannten Situation erleben sie einen nicht
alltäglichen Sex und wundern sich Beide über das eben Erlebte, doch schon am
nächsten Morgen sieht die Welt wieder grau und trostlos aus und Udi erklärt,
dass er sofort nach Hause müsse. Hier liegt er nun im abgedunkelten
Schlafzimmer für viele Wochen, und seine Frau Na’ama versucht ihn gesund zu
pflegen. Allerdings stößt sie dabei immer wieder an ihre Grenzen und fragt
sich, wer dieser Mann für sie ist und was er ihr bedeutet. Hinzu kommen
Probleme mit der knapp 10-jährigen Tochter Nogi, die sich immer mehr von ihren
Freundinnen und ihrer Mutter entfernt und sich immer weiter vor ihr verschließt.
Und auch in dem Heim für ungewollt Schwangere, in dem Na’ama arbeitet, läuft es
immer schlechter, kurz gesagt: Ihr läuft das Leben aus dem Ruder, sie ist
verzweifelt und wünscht sich ihr altes Leben zurück, obwohl sie weiß, dass auch
das lediglich ein schlechter Kompromiss war.
Als sich irgendwann dann eine ruhige, junge und
selbstsichere Naturheilkundlerin nicht nur des Kranken annimmt, sondern auch Na’ama
selbst (worüber diese sich zuerst sehr verwundert zeigt), wird dieser zu deren
Erstaunen erklärt, dass Udis gesundheitliche Probleme nicht für sich allein
stehen sondern im Zusammenhang mit der ganzen Familie betrachtet (und geheilt)
werden müssen. Die junge Frau spricht davon, dass wir unsere Einstellung zum
Leben ändern müssen. Wir Menschen sind wie der Himmel, der die an ihm
vorbeiziehenden und sich immerzu ändernden Wolken nur betrachten, diese aber
nicht aufhalten kann. Genauso müssen wir leben, in dem wir endlich nicht mehr
versuchen sollten, unsere Freunde, Partner, noch nicht mal unsere Kinder
aufhalten oder gar stoppen zu wollen. Wenn wir lernen loszulassen, können wir
die große Freiheit gewinnen und aus uns strahlt die göttliche Freiheit. Später
im Buch erfahren wir dann, wie Na’ama diese Lehren in die Tat umsetzt und wie
sich dadurch nicht nur für sie vieles zum Positiven verändert. Na’ama spürt,
dass die junge Frau allein die Familie retten kann und fühlt sich von deren
Worten angezogen, auch wenn sie nicht alles versteht, was diese ihr zu erklären
versucht. Und auch mir gefällt dieser Satz, den die junge Sohara ausspricht
eigentlich so gar nicht, obwohl ich doch instinktiv seinen Wahrheitsgehalt
spüre: „Man verändert sich nur durch
Leiden, das Leiden spornt unsere geistigen Fähigkeiten an, es provoziert und,
zwingt uns dazu, das Wunder frei zu lassen, das sich in uns verbirgt.“
Schließlich ist es so weit: Udi erklärt Na’ama, dass er
weggehen wird. Es folgt ein unglaublich fesselnder und realistischer Dialog
zwischen den Beiden, umrahmt von den Gedanken, die sich die vor dem
Verlassenwerden fürchtende Ehefrau macht, die sich mit vielerlei Argumenten
dagegen wehrt, was hier jetzt geschieht und wovor sie so eine unglaubliche
Angst hat. Jeder Leser, ob Mann oder Frau, kann in dieser Diskussion beide Seiten
sehr gut nachvollziehen, sich mit beiden Personen identifizieren und deren
Rechtfertigung für die eigene Sicht verstehen und nachvollziehen. Hier liegt
die große Stärke des vorliegenden Buches: Es wird nicht, wie bei einer
weiblichen Autorin vielleicht zu erwarten gewesen wäre, die Rolle der
verlassenen Ehefrau in den Vordergrund gestellt, nein, auch die Gründe des
Mannes, die seiner Entscheidung vorausgingen, werden sehr detailliert, gründlich
und nachvollziehbar dargestellt. Es ist eben nicht so einfach, wie viele
denken, nämlich dass sich Männer in einem bestimmten Alter (Stichwort
Midlifecrisis) ohne viel zu überlegen eine jüngere Frau suchen um in deren
Armen noch einmal Bestätigung für ihre Jugendlichkeit und Männlichkeit zu
finden. Wer die wirklichen Gründe erfahren möchte, warum Männer (und natürlich
auch so manche Frau) Ihre Familie im Stich lassen um fortan ihren eigenen Weg
zu gehen (welcher dann meist gar nicht in die Freiheit führt sondern in ein
ähnlich festgelegtes Leben mit den gleichen Problemen), der sollte unbedingt „Mann
und Frau“ lesen. Das Buch hilft uns einerseits die Falle zu erkennen, in der
wir uns befinden, wenn wir immer an den alten Verhaltensmustern festhalten,
andererseits können wir durch diese Lektüre uns endlich in unser Gegenüber
hineinversetzen und lernen, die andere Seite und deren Gefühlswelt besser zu
verstehen.
Und auf einmal ist er dann tatsächlich weg. Es folgt eine
sich über sehr viele Seiten erstreckende Beschreibung der Zeit nach dem
Verlassenwerden, die wirklich nahegeht. Ich habe schon von Frauen gehört, die
diese Situation mit einer Krebsdiagnose verglichen oder die diese Wochen und
Monate nach der Trennung so beschrieben haben, als wären sie tot gewesen. Doch
die eindrückliche, plastische Erzählart von Shalev bringt diese Situation dem
Leser so nah, als sei er selbst der oder die Verlassene
In schaurig-schönen Bildern beschreibt uns die Autorin,
wie sich Na‘ama nun fühlt, was sie tut (oder auch nicht) und wie fortan der
Alltag der Restfamilie abläuft. Welch schöne Metapher findet sie für die Sprachlosigkeit,
die sie quält während sie die ersten Tage allein mit ihrer Tochter und ihrer
Mutter ohne Uri verbringt: „…nur die
notwendigsten Worte kommen aus dem trockenen Mund wie Korken aus dem engen Hals
einer Weinflasche, Korken, die eher zerbröckeln, als dass sie sich herausziehen
lassen.“
Genauso unerwartet wie für den Leser ist es auch für Na’ama
selbst, dass sie nur kurze Zeit nach dem Weggang Udis auf einen Mann trifft,
dem sie eigentlich die kalte Schulter zeigen müsste (ist er doch der
verheiratete Vater eines bald auf die Welt kommenden Kindes seiner sehr jungen,
sehr verzweifelten Geliebten und damit der Klientin von Na’ama). Das erste Mal
überhaupt in ihrem Leben schläft sie mit einem anderen Mann und fühlt staunend:
„…seine Berührung ist angenehm, keine
Distanz vergiftet mich. Ich wundere mich, wie einfach das ist, mit einem
Fremden Liebe zu machen, ohne die ganze Last und den Groll des gemeinsamen
Lebens, warum bin ich nie darauf gekommen, dass nur ein Fremder wirklich lieben
kann?“
Einer der Schlüsselsätze in diesem Buch fiel in der Nacht
nach Udis Weggang und war das Eingeständnis von Na’amas Mutter, die seinerzeit
ihren Ehemann sitzen gelassen hatte - ein Trauma, das die Tochter ihr Leben
lang mit sich herumgeschleppt hat und das sicherlich einen großen Anteil an der
gescheiterten Beziehung zu Udi hatte. Die Mutter bringt hierin zum Ausdruck,
dass „es besser ist, auf der Seite des
Verlassenen zu stehen… denn es ist viel einfacher, wenn ein anderer für Dich
entscheidet.“ Die alte Frau erklärt ihrer Tochter und uns Lesern, dass sich
derjenige, für den entschieden wird, viel schneller erholen, darüber
hinwegkommen und sich ein besseres Leben erlauben wird, als der Entscheider.
Dieser wird lange, wenn nicht gar für immer, mit Schuldgefühlen und Zweifeln
leben, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat. Diese Theorie ist zwar
auch fragwürdig, da derjenige, der keinerlei Entscheidung trifft sich
unter Umständen ebenfalls ein ganzes Leben mit der Frage quälen wird, ob
er nicht hätte eine treffen sollen, als es noch nicht zu spät war aber wie in
fast jedem Buch, das wir in die Hände bekommen, ist es eben auch hier so, dass
uns keine für uns passende Antwort auf die wichtigen Lebensfragen fertig vorgelegt
wird sondern dass wir durch die Erfahrungen anderer zum Nachdenken angeregt
werden. Deshalb lese ich so gern! Und
deshalb sollt auch Ihr „Mann und Frau“ lesen!
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