Dienstag, 15. Januar 2013

Das große Leuchten – Andreas Stichmann


Um ein ähnlich spritziges Roadmovie wie den erst kürzlich an dieser Stelle besprochenen Roman Tschik sollte es sich bei diesem Büchlein handeln. Diese Hoffnung hat sich zwar nicht erfüllt, doch gerade die leiseren Töne und farbigen Nuancen, welche die Sinne des Lesers anregen, während dieser mit auf die Suche nach der verschwundenen Ana geht, machen diesen ersten Roman des jungen Autors Andreas Stichmann so lesenswert.


Als kleiner Bonus zur Erzählung über die aus dem Iran stammende Ana und ihren Freund Rupert, dem Ich-Erzähler, wird das hierzulande immer noch total verkannte Land Iran in ein völlig neues Licht gerückt. Hier ist nicht von israelfeindlichen und islamistischen Bartträgern die Rede, sondern von kurzberockten, tanzenden Mädchen, einem mystischen Derwisch und ganz normalen, freundlichen Menschen voller Sehnsüchte, wie auch ich sie im Iran kennen lernen durfte. In dieses unbekannte Land nämlich reisen Rupert und sein auf den ersten Blick etwas seltsamer Freund und Fast-Bruder Robert, der im Laufe der Handlung noch seine Qualitäten offenbaren wird. Was wiederum äußerst gefühlvoll und unglaublich ehrlich, ja fast bewundernd vom bis dahin so souveränen und überlegenen Protagonisten zur Kenntnis genommen und uns staunend mitgeteilt wird. Im Iran nämlich suchen die beiden Provinzler nach Ana, die nach einer wilden Party einfach verschwunden und angeblich bei ihrer dort im kommunistischen Untergrund lebenden Mutter untergetaucht ist. Bezeichnend für den unbedingten Modernitätswillen der Iraner ist dann die Stelle, als Abu, bei dem die Jungs in Teheran unterkommen, um jeden Preis die Mutter der Neuankömmlinge via Skype auf den großen Flachbildschirm zaubern will. Schließlich ist die Familie eines Menschen nach morgenländischer Sichtweise das Wichtigste überhaupt. Und so ist es für Abus einfach unvorstellbar, dass es in Deutschland auch nur eine einzige Frau geben könnte, die nicht mit dem seligmachenden Internet verbunden ist.

Bevor es jedoch so weit ist, rauben Rupert und Ana Tankstellen aus, quartieren sich in einem Berliner Abrisshaus ein, werden für kleine Kunst- (bzw. Porno-) Filmchen herangezogen und stellen fest, dass sie trotz all ihrer Liebe zueinander nach unterschiedlichen Glücklichmachern suchen. Während Ana mit ihrem Freund nach Teheran trampen will, reift in Rupert der Traum von einer richtigen kleinen Familie mit Wohnung, Kind und Frühstückstisch, wie er sie nie wirklich kennen gelernt hatte, heran. Deutlich wird ihm dies so richtig, als er in der Absicht auf dicke Beute mit einer Browning im Holster in eine Wohnung einsteigt und sich unvermittelt in einer kleinbürgerlichen Idylle wiederfindet, in der ihn „… dieser angenehm dumpfe Geruch, die kühle Aura nasser Wäsche im Dunkeln“ umhüllen, ebenso wie die aus der Küche dringende klassische Klaviermusik. Hier identifiziert er sich mit dem kleinen Jungen, den er beobachtet und der mitten in der Nacht aufs Klo geht. Jeder kennt wohl das hier so wunderschön poetisch beschriebene Gefühl, das man nach erfolgreichem nächtlichen Toilettengang empfindet: „…eine Vorfreude in den Knien und Beinen, ein richtiges Glück in den Gelenken, dass man sich gleich wieder hinlegen kann.“ Selbiges tut unser Held nun auch, um dem kleinen Jungen durch sein abruptes Auftauchen im Korridor nicht ebendieses Gefühl zu nehmen, und so legt er sich kurzerhand auf die verwaiste Wohnzimmercouch. Dort erwacht er erst, als am nächsten Morgen bereits alle Vögel ausgeflogen sind und er unbemerkt entkommen kann.

In einer anderen Szene, Rupert raubt gerade mit einem russischen Obdachlosen zusammen die Passagiere der U-Bahn aus, denkt er darüber nach, dass er es geradezu befürwortet, dass die „bürgerliche Kleinfamilie ignorante Menschen heranziehe“. Niemand habe ein so großes Herz, dass er alle Menschen lieben könne (mit Ausnahme des ehemaligen Stasi-Chefs Mielke natürlich) und immerhin liebten diese Familien sich wenigstens selbst. Das ist doch auch mal eine ermutigende Sichtweise auf unser egoistisches Miteinander im kapitalistischen Realismus! Rupert jedenfalls fühlt sich als nicht dazugehörig und wünscht sich sehnlichst, mit Ana endlich nicht mehr „draußen“ zu sein.

Diese reifen Betrachtungen seiner Umwelt sind es, die den jungen Mann und seine kurzweilige Geschichte so angenehm werden lassen, dass man Lust auf mehr Stichmannsche Lektüre bekommt. Sie entspricht so gar nicht dem Zeitgeist, redet dem Volke nicht nach dem Maul und beinhaltet doch immer einen wahren Kern.

Bei all diesen sentimentalen Grübeleien, an denen uns Rupert hier teilhaben lässt, sind die immer wieder eingebauten Fallen genauso faszinierend, wie die Gedanken selbst. Jeder Leser wird mehrfach in eine solche tappen, wenn er erst vom Autor auf eine romantische Fährte gelockt wird und sich dann mit dem nächsten Satz unversehens in der zugeschnappten Falle wiederfindet. Dann fühlt man sich ertappt, wie z.B. als Rupert auf dem Friedhof am kaspischen Meer sinniert: „Der sich schließende Kreis. Das Gefühl, genau an diesem Punkt stehen zu müssen, um genau hier und jetzt Frieden mit meiner Mutter zu schließen. Der große Friedhofsmoment also.
Den ich in keiner Weise empfinde.“

Irgendwann während seiner Suche wird Rupert, der Ana wirklich abgöttisch liebt und gleich den meisten Liebenden nach Erwiderung dieser starken Gefühle giert, bewusst, dass er für sie zwar ein guter Freund war, dass aber „…Ana und ich uns wahrscheinlich nie so nah waren, wie ich dachte.“ Welch schmerzliche Erkenntnis! Da hilft es dann auch nur bedingt, die Tulpen auf Anas Postkarte aus Holland als hässlich und die Windmühle als langweilig zu bezeichnen. Doch ist dies immerhin ein legitimer Versuch, nicht ständig an den Verlust seiner großen Liebe zu denken: „Es reicht, wenn ich nachts darüber nachdenke, nicht auch noch am Tag.“

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