Donnerstag, 10. Januar 2013

Die Schuld des Tages an die Nacht – Yasmina Khadra


 Es ist mit Sicherheit nicht die alleinige Schuld des Romans oder seines Autors, dass sich die Lektüre über so viele Wochen hinzog. Jedoch: Da das Buch nicht wirklich fesselt und mitreißt, hielt sich die Versuchung in Grenzen, jede freie Minute mit der Fortsetzung der Geschichte zu verbringen. Bei anderen Schriften ging es dem Rezensenten teilweise ganz anders, was jedoch nicht bedeutet, dass „Die Schuld des Tages an die Nacht“ etwa langatmig oder langweilig wäre. Nein, der Stoff ist ein durchaus spannender: Im Algerien der 30er bis 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geschahen groteske Dinge: Mit dem Land selbst, das seine Freiheit zu erlangen suchte, mit dessen geteilter Bevölkerung, die sich ganz schlicht in reiche Europäer und unterdrückte Araber einteilen ließ und natürlich mit den vielen einzelnen Menschen, die diese zwei Gruppen bildeten.


Younes ist einer der wenigen, der sich nicht so recht einem der beiden verfeindeten Lager zurechnen lässt. Von Geburt her Moslem und somit „Abschaum“ im eigenen Land, wird er von Onkel und katholischer Tante als Jonas großgezogen, darf zur Schule gehen und erhält eine Ausbildung zum Apotheker. Seine Freunde gehören alle der reichen, weißen Oberschicht an, und er fühlt sich in ihrer Mitte sichtlich wohl. Wenn auch in Jonas’ Herzen ein unbestimmtes Gefühl wohnt, welches hin und wieder durch ein wenig Mitleid den ausgebeuteten und im Dreck dahinvegetierenden Arbeitssklaven gegenüber zum Ausdruck kommt, so kann er sich im Freiheitskampf nicht wirklich auf die Seite der Seinen schlagen.

Während einer sicherlich hoch erotischen Stunde mit der reifen, wohlhabenden und sonnengebräunten Madame Cazenave wird dem 17 Jährigen Jonas nicht nur seine Unschuld genommen. Auch die Lebensfreude, die ersehnte Liebeserfüllung, pathetisch ausgedrückt: Sein ihm vom Schicksal eigentlich zugewiesener Lebensinhalt bleiben Jonas wegen dieses spannenden und leider niemals wiederholten Schäferstündchens auf Ewig versagt. So lange es Sex und Eifersucht gab, wurden (und werden) Millionen Biographien durch unüberlegte (oder unklug gehandhabte) Techtelmechtel zerstört oder doch zumindest in eine völlig neue Richtung gelenkt. Meistens weil der unbeteiligte Partner dann doch davon erfuhr. Dass in der vorliegenden Geschichte der jugendlich-schönen und hinreißenden Tochter der Madame hingegen niemals etwas von dem Rendevouz zu Ohren kommen dürfe, machte die Mama dem Jungen sehr eindringlich klar. Und so blieben Émilies Liebesmühen Jonas gegenüber erfolglos. Und die beiden unglücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Warum um Himmels Willen hat der erwachsene Jonas nicht genug Arsch in der Hose, seiner Angebeteten, deren Mann während des algerischen Bürgerkriegs ums Leben kam, nun beim ersten Wiedersehen nach vielen Jahren endlich alles zu erzählen? Wozu hatte er sie denn monatelang in jeder verdreckten Straße der vom Aufstand heimgesuchten Stadt gesucht? Was hatte er denn zu verlieren als sein trauriges, von Selbstvorwürfen, Selbstmitleid und der Suche nach Émilie bestimmtes Leben?

Am Lebensende dann, kurz nach der Beisetzung seiner großen Liebe und dem Wiedersehen aller damals geflüchteten Freunde, kann der ewig Unreife, der sich in seinem Leben nie für oder gegen etwas entscheiden konnte, zwar für sich beanspruchen, sein Versprechen eingehalten zu haben. Doch ist es manchmal nicht vielleicht doch besser, sein Ehrenwort zu brechen als sein Herz?

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