Der „Roman eines Schicksallosen“ reiht sich nicht nur ein
in die ehemaligen Pflichtlektüren „Werner Holt“ und „Das siebte Kreuz“, er
berichtet nicht anhand einer teilweise erfundenen Geschichte wie in „Die Mütze“
über die Schrecken der KZs, sondern er schafft etwas, was einzigartig in der
Holocaustliteratur ist: Er macht das Lesen dieser Unglaublichkeiten erträglich
und, man darf es eigentlich kaum schreiben: fast schon angenehm. Es ist wohl
diese besondere Art der Ironie in Kertész’ Sprache, die dieses Faszinosum ermöglicht
und wofür wir ihm dankbar sein sollten. Man kann natürlich vom grausamen Hunger
in anklagenden Worten berichten, aber
man kann auch durch viel subtilere Sätze wie diesen, der überhaupt nichts
schönredet, die Gefühle und Erfahrungen der Häftlinge deutlich machen:
„Überhaupt war
ich von der Verpflegungsordnung in Auschwitz einigermaßen befremdet …
so hatte ich dann bis zum dritten Tag schon eingehend
Bekanntschaft mit dem ärgerlichen Gefühl des Hungers gemacht …“
Böswillige Kritiker könnten dem Schriftsteller
möglicherweise entgegenhalten, er wäre nicht einmal 4 Tage in Auschwitz gewesen
und hätte keine Ahnung vom Lagerleben und ‑sterben. Doch was 3,5 Tage sowie die
unvorstellbaren "Reiseumstände" in einem Menschen anrichten und auszulösen
vermögen, davon kann sich wohl heute kein Mensch eine Vorstellung machen. Und
schließlich war Buchenwald auch kein Urlaub vom Grauen, auch wenn manche
Aussagen ganz bewusst diesen Eindruck erwecken wollen; nicht um das Verbrechen
KZ zu relativieren, sondern nur um die absolute Perversion der Menschenvernichtung
zu untermauern: „Ich kann sagen, auch ich habe Buchenwald bald
liebgewonnen“.
Klug und mit einer gewissen Spur von Humor berichtet der
Held (wann, wenn nicht hier dürfte man dieses Wort benutzen?!) von seinem
Unbehagen hinsichtlich seiner Herkunft. Als nicht praktizierender Jude hatte er
nie Jiddisch gelernt, weshalb er von den Juden im Lager genauso geschnitten
wurde wie von seinen Mitmenschen als Träger des gelben Sterns in den Straßen
von Budapest. Er fühlte sich in beiden Situationen als der Ausgegrenzte, als
„Der Jude“. Dabei fragte er sich, wieso seine Mitgefangenen „… derart unsinnig auf etwas bestanden,
das ihnen ja sehr viel mehr zum Schaden gereichte und bei dem sie doch so viel
mehr draufzahlten, als sie herausholten …“
Der Protagonist wurde bald nach seiner Ankunft in
Buchenwald zum Arbeiten ins Außenlager Zeitz geschickt, wo er schließlich wegen
eitriger Abszesse auf der Krankenstation landet. Halbtot wird der junge Mann
schließlich zurück ins Hauptlager gebracht, er weiß, dass das Leben vorbei ist,
und er hat sich mit dieser Tatsache eigentlich schon abgefunden. Doch dann
sieht er (neben verdächtigen Rauchschwaden) auch dampfende Kessel mit Essbarem
und so regt sich ein letzter Überlebenswille, dem Hunger geschuldet: „in mir war die verstohlene, sich ihrer
Unsinnigkeit gewissermaßen selbst schämende und doch immer hartnäckiger werdende
Stimme einer leisen Sehnsucht nicht zu überhören: ein bisschen möchte ich noch
leben in diesem schönen Konzentrationslager.“ Niemand darf so einen Satz
schreiben! Niemand außer den Überlebenden, einem wie Kertész, dem es gerade
durch solche Sätze gelingt, den durch späte Geburt gesegneten den Lageralltag
für die Nachwelt sichtbar zu machen, ohne den Horror auch nur im Mindesten
kleinzureden.
Wegen dieser absolut gelungenen autobiographischen
Erzählung, die uns heute so weit entfernt und vollkommen irreal erscheint,
sollte jeder Schüler den „Roman eines Schicksallosen“ lesen. Auch jeder ehemalige
Schüler!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen