Nach einer mutigen Meinungsäußerung zur
Biermann-Ausbürgerung sieht sich der hoffnungsvolle Theater- und Fernsehautor
Elias ins Abseits befördert. Aber die Sache hat auch ihr Gutes: In der Idylle
eines kleinen Dorf an der polnischen Grenze findet er den nötigen Abstand und
Ruhe zum Arbeiten. Durch regelmäßige Besuche in der Dorfkneipe und sein Talent
zum Zuhören verschafft »der Künstler« sich den Respekt der Männer, was so weit
geht, dass er sogar der dörflichen Peepshow beiwohnen darf. Die Frauen zieht er
durch Mitbringsel aus der besser versorgten Hauptstadt auf seine Seite. Doch
weil sich Elias von den Oberen des Staates nicht erpressen lassen will, entschließt
er sich, sein Paradies zu verlassen und in den Westen zu gehen.
Als er nach
zwanzig Jahren besuchsweise zurückkehrt und davon erfährt, dass sich seine
Freunde von damals an der Prämienjagd auf Flüchtlinge beteiligt haben, bekommt
sein idyllisch verklärtes Bild des Dorfes Risse. Und als dann auch noch das
frisch renovierte Schloss brennt, das einer »von drüben« gekauft hat, muss
Elias resigniert feststellen: Schuld ist »im Grund das ganze Dorf«. Ohne jede Beschönigung
und ohne in falsches Pathos abzugleiten gelingt es Kuhnert (der mit »Abgang ist
allerwärts« auch einen autobiografischen Roman geschrieben hat), jenes Gefühl
der Ohnmacht wieder lebendig werden zu lassen, das viele noch heute spüren,
wenn sie an den real existierenden Alltag dieser Zeit zurückdenken. Der zunächst
etwas seltsam anmutende Romantitel gewinnt erst mit der Ausreise des Protagonisten
seine vollumfängliche Bedeutung: Der Abgang bezeichnet eben nicht nur das
Verschwinden volkseigener Kalksäcke, alkoholbedingt dahingegangener Dorfbewohner
oder die Ausreise ehemals engagierter Intellektueller, sondern vor allem auch
das historische Endergebnis all dieser Einzelabgänge: den Abbruch des Massenexperimentes
DDR.
Reinhard Kuhnert: Abgang ist
allerwärts. Leipzig: Plöttner Verlag 2013. 225 S., 16,90 €
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