Durch Zufall ist mir „Die
Fremde“ in der Bibliothek über den Weg gelaufen (oder war es vielleicht so,
dass ich
ihr in die Arme lief?) und da mir „Befreiung“ vom gleichen Autor recht
gut gefallen hatte, nahm ich sie kurz entschlossen mit nach Hause um sie mir
näher bekannt zu machen. Ein wenig enttäuscht wurde ich dann: Nicht, weil man
über die Fremde so gut wie gar nichts erfährt (dafür umso mehr über den Mann,
der die letzten Minuten ihres Lebens mit ihr verbringt) sondern weil sich der
Roman doch zeitweise so schwer tut wie die deutschen Touristen, von denen kurz
berichtet wird, welche irgendwo an der heißen Mittelmeerküste träge in der
Hitze lungern. Doch lasst Euch nicht abschrecken sondern nehmt dieses Buch
dennoch zur Hand. Denn zumindest den Epilog sollte man gelesen haben: Das
Gespräch des Antihelden, eines pariser Gelehrten mittleren Alters, mit seinem
Schöpfer.
Bevor Viktor Henrik
Askenasi diesen Monolog mit Gott führt, führte er 47 Jahre lang das Leben, das
man von ihm erwartete. Und dann noch ein paar Monate lang eines, das man nicht
nur nicht
von ihm erwartete, sondern welches ihm Freunde, Bekannte und Kollegen sogar
auszureden versuchten. Vergebens. Der mit Anna verheirate Professor und Vater
einer kleinen Tochter lernt durch Zufall, dem er allerdings tüchtig unter die
Arme greift, die junge Tänzerin Eliz kennen, schwänzt seine Vorlesung und kommt
erst am folgenden Tage gegen Mittag zu seiner auf ihn warteten Frau zurück.
Diese weiß ganz genau, was dies zu bedeuten hat und so schweigen die beiden
sich stundenlang, einander gegenübersitzend, an und sagen sich dabei mehr als
in den 15 Jahren zuvor: „Er hatte das
Gefühl, noch nie und mit niemand so gut vorbereitet, so intensiv und mit einer
solchen Fülle von Argumenten disputiert zu haben wie während dieses
Schweigens.“ Glänzend beschrieben vom unsichtbaren Beobachter, diese Szene:
„Eine schöne Frau, dachte er mit
anerkennender Ritterlichkeit. Sehr schön sogar. Viel schöner als die andere.“
Viktor packt ein paar Sachen und zieht ins Hotel der Tänzerin, genießt die
Liebe und das Leben und tut damit das, was man(n) in der Zeit, als der Roman
spielt (höchstwahrscheinlich zwischen den Kriegen) eben nicht tat. Denn das
tat man nachmittags
zwischen 4 und 6, bevor man vom Schoß seiner Geliebten in den seiner Familie
zurückkehrte. Nicht so Viktor, der Frau und Kinder sitzen lässt und mit seiner
neuen Freundin ein wildes Leben zwischen Bett, Restaurantbesuchen, Partys und
Müßiggang führt. Und eben weil er, im Gegensatz zu den vielen Menschen, die
ähnliche Probleme und Fragen haben, konsequent handelt, wird er von seiner
Umwelt überhaupt nicht verstanden: „Die
Menschen sind bequem... und es wird schwer werden, es ihnen zu erklären. Sie
haben ein paar fertige Begriffe: Freundschaft, Liebe, Ehe, Abenteuer,
Verhältnis; und sie glauben, das Leben passt in diese fertigen Begriffe hinein.
Mitnichten passt es hinein.“
Doch als feiner
Beobachter merkt er dann bald, dass Eliz ihn zwar gelehrt hat, die alles
entscheidende Frage zu stellen bzw. ihm hilft, diese überhaupt erst einmal für
sich zu formulieren, ihm aber wohl nicht die Antwort auf dieselbe geben wird.
Diese wird er, wie ein jeder von uns, ganz auf sich allein gestellt finden
müssen. Daher begibt er sich, auch unter dem Druck der Freunde, die diese Art
von Beziehung überhaupt nicht gut heißen, auf eine Reise nach Südeuropa. Hier
wird ihm klar, dass es kein Zurück zu seinem alten, heuchlerischen Leben gibt,
und so kündigt er seiner Frau endgültig die Ehe auf, die er im gleichen Moment
der Tänzerin anbietet. Welche allerdings in der Zwischenzeit nach Südamerika
abgereist ist, in männlicher Begleitung, versteht sich. So kommt seine
Einsicht: „Es ist zweifelsfrei erwiesen,
dass ich ungeachtet meines guten Willens und wider besseres Wissen nicht ohne
sie leben kann“ wohl ein wenig zu spät und er sitzt ohne Frau, ohne
Geliebte und ohne Antwort im einsamen Hotelzimmer.
Der Leser wird nun nicht
nur in die Gedanken- und Gefühlswelt des einsamen Suchenden mitgenommen sondern
auch auf diese Reise, an deren Endpunkt Viktor erst auf die treffend und
vorzüglich beschriebenen Deutschen, dann auf Die Fremde und
schließlich auf Gott stoßen wird. Nicht, dass er hier zum christlichen Glauben
findet, nein, eher das Gegenteil ist der Fall: Nachdem er die aschblonde Frau,
die ihn auf sein Zimmer einlud, dort besucht und nach nur wenigen Minuten
leblos fallen lassen hat, trifft er in einer Kirche auf einen so sicher auftretenden
und offenkundig im Glauben die Antwort auf die Frage gefunden habenden Mönch,
dass er mit Gott hadert und diesem vorwirft, von ihm betrogen worden zu sein.
Kurze Zeit, nämlich so
lange, bis er diesen Mönch trifft, scheint es so, als ob Victor in dieser
wahnsinnigen Tat endlich die Antwort auf seine Frage („ob es Befriedigung gibt, das heißt, ob das Leiden einen Sinn hat“) gefunden
hat, denn er fühlt sich das erste Mal in seinem Leben so richtig zufrieden mit
sich und mit der Welt im Reinen. Doch dann, in gelassener Erwartung seiner
Verhaftung und seines möglichen Endes, beginnt er diesen Disput mit Gott, aus
dem ich gern einige Auszüge zitieren möchte und die das Buch am Ende dann doch
richtig lesenswert machen:
„...weil
man ständig das Gefühl hat, sich beeilen zu müssen, man hat etwas zu tun, etwas
Unaufschiebbares, irgendeine großartige und wichtige Aufgabe, die ohne einen
nicht zu lösen ist…Man wird bereits erwartet, darf sich nicht verspäten…doch Du
musst so tun, als hättest Du es eilig, selbst wenn du allein bist…
Köstlich, wie Viktor sich
bei Gott über kleine Problemchen des Alltags, wie z.B. schmutzige Kämme oder
verrutschende Schuhlaschen beklagt und dann schlussfolgert:
„Möglich, dass das ganze Werk vollkommen ist, ich
weiß es nicht. Aber die Einzelheiten sind unvollkommen.“
So richtig philosophisch
wird Victor, als er über das Lügen sinniert:
„Du hast einmal jemand belogen, du weißt gar
nicht, warum, die Situation war danach, vielleicht wolltest Du klüger oder
vornehmer erscheinen... Schließlich holt dich die Lüge ein, es lebt irgendwo
ein Mensch und weiß etwas von dir…Sag, kann es nicht sein, dass für Dich dieser
Jemand der Teufel ist…? Er sitzt in der Hölle und lächelt vor sich hin, weil er
von Dir etwas wie. Könnte das nicht sein?“
Und am Schluss dann
behandelt er in seinem Gespräch mit Gott DAS Thema, welches ihn (und so viele
andere) zeitlebens beschäftigt, und es tut gut zu lesen, dass es auch anderen
so geht:
„Weißt Du, es war so, ich habe immer an die Frauen
gedacht... deswegen habe ich gelernt, deswegen bin ich gereist. Gar nicht mal
an die Frauen, sondern an die Sache selbst... Ja, ich gebe es zu, ich habe
alles nur deswegen gemacht ... Ich habe mich wirklich dagegen gewehrt, habe sie
[die Worte] verscheucht, die Bücher hervorgeholt... Stell Dir vor, ich habe
sogar Sport getrieben und ich bin der radikalsozialistischen Partei beigetreten...
Und außerdem habe ich mich lange davor gefürchtet, weil ich geglaubt habe, dass
es Sünde ist... Das war das Seltsamste... Diesen körperlichen Teil der Sache
habe ich lange nicht verstanden... Auch ich habe geglaubt, es ist nur eine Begleiterscheinung,
man muß es nur hinter sich bringen, es gehört dazu, aber im Grunde geht es
nicht darum sondern um das Gute, Hingabe, Liebe... Eben nicht! Eben nicht! Es
ist nicht wahr! Du hast mich betrogen!“
„Sag mir doch...: Warum hast Du mich betrogen?“
... „Siehst Du, siehst Du... nicht wahr, Du weißt keine Antwort. Und da sitzen
wir nun im Schlamassel.“
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