Gewisse Ähnlichkeiten mit der bekannten Geschichte des Kaspar
Hauser oder dem wunderschönen Film „Alabama Moon“ drängen sich bei der Lektüre
dieses kleinen, ergreifenden Büchleins auf, das auf der wahren Lebensgeschichte
des Victor von Aveyron, einem
sogenannten Wolfskind, beruht. Sowohl Kaspar Hauser als auch Victor wachsen
ohne soziale Bindungen auf, werden dann mehr oder weniger vergeblich
sozialisiert und sterben jung.
Hat man die
Geschichte zu Ende gelesen, fragt man sich traurig, warum um alles in der Welt
mussten die Dörfler den nackten, wilden Jungen unbedingt einfangen und zu
„Forschungszwecken“ nach Paris geben. Es ist die gleiche Fragestellung, die man am Ende des genannten Films hinsichtlich des
tapferen Moon aus Alabama im Kopf hat. Ob dieser im Haus seiner Verwandtschaft wirklich
glücklicher ist als im geliebten Wald? Warum hat man Victor nicht einfach in Ruhe
durch die Wälder streunen lassen, wo er sich selbst im Winter nackt und behände
durch die Büsche bewegte, rohe Eicheln und kleine Nagetiere aß und mit
Sicherheit ein erfüllteres Leben führte als im Taubstummenheim, wo er tagein
tagaus vom ambitionierten Dr. Itard mit allerlei Lernaufgaben gequält wurde?
Unbedingt wollte dieser sich und der Welt beweisen, dass der Wilde kein Idiot
sei, nur weil er auch in der Öffentlichkeit völlig ungehemmt an seinem Penis
spielte, im Stehen schiss (bevorzugt auf Teppiche) und im Sitzen pinkelte.
Daher unterzog er ihn, dem weder Hitze (gern holte Victor sprichwörtlich die
Kartoffeln aus dem Feuer, aber mit der Hand!) noch Kälte etwas ausmachte, einer
„Umerziehung“, die ihn ein für allemal die Rückkehr in die Freiheit unmöglich
machte: Tägliche Wannenbäder und zu viele Bratkartoffeln verweichlichten den
Jungen, so dass dieser nach seiner Flucht aus der Anstalt keine drei Tage in
der Stadt, vor der er verständlicherweise richtig gehend Angst hatte, bestehen
konnte. So döste und siechte er nach Jahren der vergeblichen „Erziehung“ bei
Itard schließlich 20 Jahre bei seiner liebevollen Ziehmutter dahin, wobei er neben
Essen („als litte er noch immer Hunger“)
nichts tat als aus dem Fenster zu schauen und im Hof liegend den Bewegungen der
Wolken zuzusehen. Zeitlebens blieb es für ihn ein Mysterium, dass er sich
jederzeit satt essen und trinken konnte: „Er
trank ein Glas Wasser nach dem anderen, die Urflüssigkeit, die ihn zurück
versetzte in die Zeit der Freiheit und Entbehrung, und starrte dorthin, wo das
Gras hoch war und die Zweige der Bäume sich im Wind wiegten.“
Berührend und
faszinierend erkennt der Leser, wie stark wir Menschenkinder von unserer
Umgebung geprägt werden und dass ein Kind, dem all die vielerlei Konventionen,
die in einer menschlichen Gesellschaft zumindest teilweise vonnöten sind, gänzlich
unbekannt sind, ganz andere, natürlichere Verhaltensmuster an den Tag legt.
Eine Bewertung dieser Tatsache wird dem Leser nicht abgenommen und er muss sich
selbst ein Urteil über den Erziehungsversuch bilden, wenn er erfahren hat, wie
Victor sich völlig selbstverständlich und aus einem inneren Trieb heraus von
hinten einem Mädchen annähert, um es „unsittlich“ zu berühren. Oder wie er
ohne darüber nachzudenken, dass seine Tischgenossen vielleicht auch hungrig sind,
alles hortet, was er an Speisen raffen kann, um es zu verschlingen, zu
verstecken oder zu vergraben.
Als Victor, der weder
über ein Schamgefühl noch über Mitleid, Kameradschaft oder Großzügigkeit
verfügte, bei einem Picknick seine Stiefschwester Julie an der Hand in sein
Versteck führt, wird es einem richtig warm ums Herz. Er knetet sanft ihre Knie,
streichelt ihr Haar, zeigt ihr seinen Vorrat an Brötchen
und als dem jungen Mädchen die Situation unangenehm wird und sie zurück zu den
anderen geht ruft er verzweifelt „Lie!
Lie!“, das einzige Wort, das er aussprechen konnte. „Und dann bot er ihr in einer Art Verzweiflung und als
überwältigenden Ausdruck seiner Liebe die Überreste eines halbgegessenen Brotes
dar.“
finde du machst das derzeit echt gut, was das geschickte kurzschießen der buchinhalte betrifft. Du befolgst sogar intern noch eine Philosophie, nach der das wichtigste zum Schluss kommt: Die Liebe. Nettnett. Und am Ende franst du das Ganze aus, um dem Leser sogleich den Kaufwunsch zu vermitteln. Ziel erfüllt, würd' ich sagen.
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