Persönliche Empfehlungen haben sich noch immer als die
besten Buchtipps herausgestellt, und so sei diese außergewöhnliche und
phantastische Geschichte ebenfalls allen ans Herz gelegt, die nach neuen Wegen
im alltäglichen Kampf um freie Zeit suchen oder ganz einfach nur eine zum
Denken anregende, sehr schön geschriebene Story konsumieren möchten
Der allseits bekannte, allgemein akzeptierte und doch im
Grunde genommen wahrlich perverse Spruch „Zeit ist Geld“ wird hier auf die
Spitze getrieben, und man erkennt beim Lesen recht schnell, dass unsere moderne
Gesellschaft einzig darauf beruht, dass uns unsere Lebenszeit vom „System“ für
vergleichsweise wenig Geld abgekauft wird. Um mit der Lektüre nicht zu viel von
dieser wertvollen Zeit zu verschwenden, hat der Autor daher ein paar selbsterklärende
Abkürzungen eingeführt und damit unnötige Redundanzen entfernt. (Natürlich ist
das „unnötig“ an dieser Stelle vollkommen unnötig, weil der Begriff „Redundanz“
die Unnötigkeit von Dopplungen bereits impliziert).
Am Beispiel des Protagonisten NT (Normaler Typ), seiner Frau
NTF und den beiden Kindern NTK1 sowie NTK2 wird das Fiasko dieses teuflischen
Pakts „Zeit gegen Geld“, das die Mehrheit der Menschen in unserer westlichen Gesellschaft
gefangen hält, veranschaulicht: NT zieht eine ganz einfache, aber
aussagekräftige Zwischenbilanz seines Lebens und kommt zu dem Schluss, dass er
für sein eigentliches Interesse niemals Zeit finden wird. Grund ist das
schlechte Verhältnis zwischen Hypothek und Einkommen, welches ihn für 35 Jahre
an Bank und Job fesseln wird. Oder, wie es ein Vertreter der Unternehmer später
gegenüber eines Regierungsverantwortlichen ausdrücken wird: „Das System basiert darauf, den Leuten Geld zu leihen, und im Gegenzug
stellen diese dem System ihre Zeit als Arbeitszeit zur Verfügung. Die Menschen
dürfen nicht Herren ihrer eigenen Zeit sein, sonst geht alles den Bach runter!“
So springt NT schließlich über seinen eigenen Schatten,
kündigt und macht sich in der (Tief-) Garage seines Hauses selbständig, weil er
in seinem Marketing-Kurs gelernt hat, dass alle große Firmen in einer Garage
gegründet worden seien. Seine Frau ist über diese Tatsache so entsetzt, dass
sie ihm lediglich eine Frist von einer Woche gewährt, bevor sie mit den Kindern
zurück zu ihren Eltern zieht.
Doch dies wird nicht notwendig sein, denn NT hat eine der
genialsten Ideen aller Zeiten. Zwar werden die Realisten
unter der Leserschaft deren Erwähnung als Unmöglichkeit abtun, doch ist dies ja
nun einmal der Vorteil einer ersonnenen Geschichte. Sie darf ersponnen sein und
kann dennoch absolut glaubwürdig daherkommen: NT stellt ganz einfach und immer
auf Korrektheit bedacht leere Plastikfläschlein vor je einen Wecker und füllt
deren Zeit im Fünf-Minuten-Takt ab. Die Flaschen werden über Nacht zum
Kassenschlager, denn nun kann sich jeder auf völlig legale Weise für fünf
Minuten von allen Verpflichtungen freikaufen. Paare schrauben ihre Zeitvorräte
gleichzeitig auf, um sich in der Mittagspause kurz für einen Kuss treffen zu
können, Sekretärinnen nutzen die Zeit für ein Nickerchen auf dem Schreibtisch,
und kein Chef der Welt könnte etwas dagegen unternehmen. Schließlich bezahlen
die Mitarbeiter für die Freizeit, indem sie einen kleinen Abstrich auf ihrer
monatlichen Lohnabrechnung hinnehmen. Alle profitieren von diesem Geschäft,
denn das Betriebsklima steigt merklich an, die Krankmeldungen gehen zurück und
NT verdient mit der Abfüllung der Zeit eine Menge Geld. Doch ach, die Gier, sie
kommt ins Spiel und mit ihr die Unzufriedenheit in den Chefetagen der
Unternehmen. Erst sind es Zwei-Stunden-Behälter, die reißenden Absatz finden,
doch als schließlich Eine-Woche-Container verkauft werden, wird es auch der Regierung dann zu
bunt. Anfangs hatte diese noch die Argumente der Unternehmer ignoriert („Der Verkauf von Z stellt für die
Konsumgesellschaft eine Bedrohung dar.“) und mit dieser gut gemeinten, im
Grunde jedoch regelrecht schmutzigen Antwort gekontert: „Wir leben in einer freien Marktwirtschaft, in der die Bürger alles
kaufen können, was ihr Herz begehrt, sogar ihre eigene Zeit.“ Doch nun
sieht sie sich zum Handeln gezwungen, weil das Bruttosozialprodukt und damit
die Steuereinnahmen sprunghaft absinken.
Wer bis hierher einfach nur eine amüsante Geschichte
las, begreift auf der Stelle, dass es sich hierbei um sein eigenes Leben
handelt. Dies geschieht spätestens, wenn sich die Unternehmerschaft beschwert,
dass den Mitarbeitern genau so viel Lohn abgezogen wird, wie es dem Verhältnis
der nicht geleisteten Arbeit zum Stunden-Soll entspricht. Doch für die Firmen
geht für eine nicht geleistete Arbeitsstunde das Zehnfache dieses Wertes
verloren, weil ja schließlich der ausgebliebene Gewinn entscheidend ist und nicht nur die Lohnkosten. Und nun kommt so ein normaler Typ daher und stellt dieses
seit Generationen erprobte Prinzip auf den Kopf! Die Regierung schreitet ein
und die Geschichte nimmt (s)einen an dieser Stelle nicht weiter erwähnten
Verlauf (eigentlich sind es deren sogar zwei, doch das muss nun jeder selber
lesen).
Das Potential dieser abstrusen Geschichte und die darin
enthaltene Gesellschaftskritik sind schnell erkannt, doch auch die Sprache des
Buches ist es, die Lust aufs Lesen macht. So erfreut man sich über manch wahrhaft gelungene
Formulierung, die einen wirklich guten Schriftsteller von der Masse der
Schreiberlinge abhebt. So famos um die Ecke formuliert und wunderbar treffend ist
dieser Satz, den die Frau des Protagonisten dem Psychiater ihres Mannes, der
ein Verhältnis mit ihrer Nachbarin hat, entgegenschleudert, als dieser sie allein in einem Raum
sprechen will: „Meinen Mann heilen ist
eines, meine Nachbarin betrügen etwas ganz anderes.“ Ja, das muss man schon
zwei mal lesen aber wenn es dann Klick macht…!
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