Sonntag, 4. Dezember 2011

Alle sieben Wellen

Ich war aüsserst skeptisch, ich gebe es zu. In den meisten Fällen ist der zweite Film oder das zweite Buch zum gleichen Thema doch nur ein Abklatsch des ersten. Eine Möglichkeit für den Autor, mit wenig Aufwand gutes Geld zu verdienen. Deshalb habe ich Alle sieben Wellen einige Wochen links liegen gelassen und mich lieber drei anderen Büchern mehr oder weniger parallel gewidmet. Schliesslich hatte mir Gut gegen Nordwind (die Rezension hierzu findet man weiter unten in diesem Blog) wirklich gut gefallen, das Ende war - im Gegensatz zum soeben ausgelesenen zweiten Teil - nicht vorhersehbar und irgendwie stimmig. Eben weil es sich um kein Happy End handelte. Leo kehrt nun in Band 2 nach einem guten halben Jahr von seiner Flucht aus Boston zurück und beginnt erneut, mit Emmi in einen sehr intimen Email-Kontakt zu treten. Allerdings hat er eine Amerikanerin im Gepäck bzw. in Aussicht, von der er Emmi sogleich erzählt. Wirklich gelungen ist dem Autor nun der Meinungsaustausch zum Thema "Pamela". Nachdem Leo eine Beschreibung abliefert, warum er so überzeugt von der Qualität der neuen Beziehung ist und dabei nicht mit schmalzigen bzw. für eine harmonische Zweisamkeit allgemein als anerkannt geltenden Attributen spart, kontert Emmi mit einer herrlich sarkastischen Antwort: IIIIIIIIIIIIIIH! Die mögen die gleiche Musik, die gleichen Bücher, Filme, Speisen und Bilder, haben die gleiche Gesinnung, den gleichen Witz beziehungsweise, noch schlimmer, Nicht Witz. IIIIIIIIIIIIIIIIIH! Vielleicht gehen sie schon in ein paar Wochen in hellblauen, weiss geringelten Partnerlook-Socken zum Synchron Abschlag auf den Golfplatz. Recht hat sie: Nichts ist schlimmer als Paare mit dem gleichen Aussehen, den gleichen Regenjacken, alles gleich gleich gleich. IIIIIIIIH!!!! Hier wird sie mir so richtig symphatisch. Aber auch Leos's Reaktion auf diese doch recht böse mail ist souverän, auch wenn beide im Verlaufe der über zwei Jahre andauernden Email-Beziehung des öfteren an Souveränitätsverlust leiden. Aber wer von uns tut das nicht ab und an? Das macht sie doch menschlich, die beiden Turteltauben.

Unabhängig von Pam und Bernhard (Emmis Ehemann) trifft man sich nun endlich einmal im Cafehaus (ein wenig ernüchternd allerdings, dieser Nachmittag) und dann ein zweites mal (von diesem Treffen nimmt Leo sich ein ideelles Andenken mit, dessen Beschreibung sich nicht nur für Emmi sondern auch für uns so zärtlich liest, dass es uns alle irgendwie für Leo vereinnahmt, da es selten vorkommt, dass ein Mann so sensibel und liebevoll über eine klitzekleine Berührung und was diese in ihm auslöst, berichtet). Ist es ein Fehler, dass Leo seiner Emmi nun den Brief schickt, den er im ersten Buch von Bernhard erhielt und ihr seitdem verschwiegen hatte? Dass er Emmi nun darüber aufklärt, dass Bernhard über die teils erotische, wenn auch bis dato vollkommen unschuldig-virtuelle Beziehung Bescheid wußte? Sie jedenfalls ist geschockt, sowohl über die späte Beichte von Leo als auch über das mitleiderregende Verhalten ihres Mannes und zieht sich in ihr Schneckenhaus, sprich, eine winzige Wohnung, zurück.

Doch lange kann die Funkstille zwischen Beiden nicht anhalten und so will es Emmi nun wissen: Sie "überfällt" ihren Online-Geliebten, fickt ihn kurz und schmerzlos und verschwindet wieder, nur um ihm kurz darauf das definitive ENDE an den Kopf zu werfen.

Doch der geübte Leser und Kenner der mehrfach von Beiden alternierend wiederholten Beendigungen weiß ja, dass die beiden noch lange nicht am Ende sind, und das nicht nur, weil an dieser Stelle erst knapp die Hälfte der 220 Seiten geschafft sind.

Später dann glaubt die mittlerweile in Therapie befindliche Emmi ihrer Therapeutin nur zu gern, dass ein erneuter Kontakt zu ihrem virtuellen Liebhaber ihr gut tun würde und so versucht sie alles, ihre Beziehung wieder in Gang zu bringen, bevor Pamela in gut zwei Wochen nun tatsächlich auftauchen wird. Leo allerdings, ganz der Alte, der sich trotz seiner heftigen Gefühle für Emmi nicht zwischen sie und Bernhard stellen will - schliesslich hat auch ER eine Entscheidung getroffen und damit - vorerst - Emmi aus seinen Zukunftsplänen verbannt, läßt sich nicht so Recht auf dieses Spiel ein. Dennoch ist diese Zeit vor Pam's Ankunft von großer Offenheit geprägt, was z.B. deutlich wird, wenn Emmi ihm erzählt, warum sie sich nicht gänzlich von ihrer Famile trennen kann: Für Jonas ist die Situation schlimm. Du solltest seinen Blick sehen, wenn er mich fragt: "Warum schläfst Du nicht mehr zu Hause?" Ich erwidere: "Papa und ich verstehen und momentan nicht sehr gut". Jonas:" Aber in der Nacht ist das doch egal." Ich: "Nicht, wenn man nur durch eine dünne Wand getrennt ist." Jonas:"Dann tauschen wir zwei eben Schlafzimmer". Was sagt man darauf?

Emmi versucht, sicher auch, weil sie Leo als an Pamela vorerst verloren glaubt, einen Neuanfang mit Bernhard, fährt allein mit ihm in den Urlaub, zieht zurück in die gemeinsame Wohnung, doch der Leser ahnt, worauf das alles hinausläuft. Denn insgeheim, manchmal auch ein wenig direkter, hofft sie, auch wenn sie es weder sich selbst noch Leo eingesteht, dass dessen perfekte Partnerschaft mit Pamela doch nicht so perfekt verlaufen wird. Sie fährt, wer könnte es ihr verübeln, zweigleisig und hat dann am Ende des Buches, nach mehreren rotweingeschwängerten Emails von Leo (welche Emmi am meisten liebt) und teils bissigen, süffisanten, zickigen und nachdenklichen Antworten ihrerseits die Gleise in Richtung Happy End gestellt. Viele dieser Dialoge sind wirklich intelligent geschrieben und kreativ im Umgang mit der Sprache und den verschiedensten Sonderzeichen ausgeführt. Wortschöpfungen wie Betrefffetischismus oder Betroffenheitsmasochismus sind einfach nur schön.

Was es mit den sieben Wellen auf sich hat? Als geübter Wellensurfer weiß auch ich davon zu berichten, dass Meereswellen immer im set kommen, und die Erfahrung der Fischer auf Gomera, wo Emmi mit ihrem Bernhard Urlaub macht, sagt, das jede siebte Welle eine gewaltige ist. Eine, die die Kraft für Veränderung in sich trägt. Hierüber philosphieren die beiden ein wenig und kommen auch zu dem Schluss, dass diese besondere Welle nicht unbedingt dann in unser Leben kommt, wenn wir auf sie warten. Oft herrscht eben doch Windstille. Was ja nicht unbedingt etwas Negatives sein muss. Vielen genügt ein stetiger und ruhiger Verlauf des Lebens ohne große Veränderungen. Für Viele läßt es sich bei Windstille sehr gut leben. Damit geht allerdings jeder von uns auf seine Weise um: Für den leichten Seegang muß man der richtige Typ sein. Die einen erleben Windstille als innere Ruhe, die anderen als ewige Flaute. Wie verhält es sich bei Dir???

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