Donnerstag, 19. Januar 2012

Kafka am Strand - Haruki Murakami

Dieses war zwar mein erster „Murakami“ aber ganz gewiss nicht der letzte! Jedoch werde ich meinen nächsten nicht sofort in Angriff nehmen. Denn, obwohl mich „Kafka am Strand“ begeistert hat, benötige ich nun erst einmal ein wenig Abstand zu Murakamis phantasievoller Gedankenwelt. Denn einfach zu verstehen ist diese Geschichte keinesfalls. Sie ist eine, über die man am Liebsten mit anderen Lesern noch lange und ausführlich diskutieren möchte, genauso wie nach einem gut gemachten Film, den man zusammen im Kino sah, bei dem Fragen offen bleiben und wohl auch keine einfachen Antworten zu finden sind.

Die hier niedergeschriebene Geschichte zu beschreiben, fällt wirklich nicht leicht. Zwei Handlungsstränge verlaufen parallel, man ahnt dann auch bald einen Zusammenhang zwischen beiden, und auch die Zeitebene wechselt von der Gegenwart in die Vergangenheit und zurück. Aber dies ist überhaupt nicht das Verwirrende, im Gegenteil, es macht den Roman durchaus spannend. Schwierig sind zwar auch einige der Dialoge (bei mehrmaligem Lesen eröffnet sich jedoch schnell der tiefere Sinn, meistens jedenfalls) wirklich kompliziert wird es aber erst im weiteren Verlauf des Buches.

Dabei fängt alles ganz harmlos an, als man erfährt, dass der alte Nakata mit Katzen sprechen kann (später lässt er dann aber auch Blutegel und Sardinen vom Himmel regnen). Das macht ihn, der ein wenig verwirrt durchs Leben geht, irgendwie richtig sympathisch. So wie überhaupt die meisten Figuren wirklich nette, wenn auch ziemlich eigene Charaktere sind. Mystisch (und bis zum Ende nicht aufgelöst) ist die Geschichte, in der Nakata als kleiner Junge mit 30 anderen Kindern in eine Ohnmacht fällt, aus der er dann als einziger mit bleibenden Schäden (nämlich seiner auf den ersten Blick dümmlichen aber in Wahrheit wunderbar schön kindlich-naiven Art) und ohne Erinnerungen an sein vorheriges Leben erwacht. Auch der 15-jährige Kafka Tamura ist, obwohl ziemlich verschroben und einsiedlierisch, ein wirklich guter Kerl. Der stärkste 15-jährige der Welt muss er sein, sagt er sich immer wieder. Dass er überaus gern liest und viel Zeit in Bibliotheken verbringt, ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum ich ihn von Anfang an so mochte. Aus nicht näher erläuterten Gründen flieht er aus Tokyo, wo er zusammen mit seinem Vater in einem Haus lebt, diesen aber äußerst selten und nur ungern zu Gesicht bekommt. Im Bus Richtung Süden freundet er sich mit einer ebenfalls sehr sympathischen jungen Frau an. Anrührend, wie Sie, die einen festen Freund hat und daher keinesfalls fremdgehen würde, den viel jüngern Kafka in ihr Bett lässt um ihn mit ihren geschickten Händen auf liebevoller Art Erleichterung zu verschaffen. Nur um ihn daraufhin sofort wieder in seinen eigenen Schlafsack zu schicken. Dass es sich wohl um seine Schwester handelt, die vor vielen Jahren mit der Mutter das elterliche Haus verlassen hat, erfährt man später, als er von einer Art Fluch berichtet, den ihm sein Vater auferlegt hat. Darin heißt es, er werde mit seiner Schwester und mit seiner Mutter schlafen. Letzteres geschieht tatsächlich: Die grazile Saeki-san, Chefin der kleinen Privat-Bibliothek (die so wunderbar beschrieben wird, dass ich mich genau dort hin wünsche) in der Kafka Unterschlupf und für einige Wochen ein neues zu Hause findet, hat es ihm angetan, obwohl sie ca. 35 Jahre älter ist als er. Auch sie hat etwas sehr Geheimnisvolles an sich, das eng mit Kafka verbunden ist, und kommt mehrfach nachts in sein Bett. Und dies, obwohl er ahnt – und es ihr auch zu Verstehen gibt – dass sie seine Mutter ist.

Neben den äußerst seltsamen und irgendwie überirdischenen Gestalten Johnny Walker und Colonel Sanders (das ist der bärtige Mann, der an jedem Kentucky Fried Chicken Imbiss zu sehen ist) lernen wir noch zwei weitere wichtige Personen kennen. Dies sind der LKW-Fahrer Herr Hoshino und der liebenswerte Oshima, welcher in der Bibliothek arbeitet und sich sofort des dort gestrandeten jungen Kafka Tamura annimmt. Auch Oshima ist, wie eigentlich alle auftretenden Personen, anders ist als die Anderen: Sich als Mann fühlend aber in einem zierlichen Frauenkörper fast ohne Brust und ganz ohne Penis lebend, fühlt er sich zu Männern hingezogen. Ist er demnach eine schwule Frau? Ein Transvestit? Völlig egal. Oshima erklärt dem jungen Ausreisser voller Geduld die schwierigsten Zusammenhänge des Lebens und der Liebe, öffnet diesem die Augen und bringt ihn, als die Polizei ihn sucht, weil er möglicherweise etwas mit dem Mord an seinem Vater zu tun hat – was in der Tat nicht ganz von der Hand zu weisen ist – in eine abgelegene Berghütte. Ganz Einsiedler, verbringt Kafka hier viele Tage ganz allein mit Lesen, Sport, ausgedehnten Expeditionen, die ihn bis in eine Parallelwelt führen, und Träumen. Beneidenswert, dieses einfache Leben inmitten der Natur!

In der Parallelgeschichte lernt der alte Nakata den jungen Herrn Hoshino kennen, der ihn von der Straße aufliest und sehr von dessen seltsamer Sprache und unkonventioneller Art beeindruckt ist. Dies führt dazu, dass er seinen LKW stehen lässt, sich bei seinem Chef abmeldet und mit Nakata zusammen auf Reisen geht. Was genau dieser sucht, weiß keiner von beiden, dass sie es zusammen finden werden, wissen alle von Anbeginn an: Nakata, Hoshimo und wir, die Leser. Es ist die Bibliothek, in der die schöne Saki-san friedlich und für immer einschlafen wird, nachdem sie ein, vor dem  Publikum nicht offenbartes, Gespräch mit Nakata geführt hat. Welcher im Übrigen anschließend ebenfalls in den ewigen Schlaf verfallen wird. Was es bedeutet, dass dann ein grünes Ungeheuer aus Nakatas totem  Mund austritt, mit dem Hoshimo kämpft, damit „der Eingang“ (in eine andere, eine parallele Welt?) wieder geschlossen wird, dies gehört zu den zahllosen, phantastischen Geheimnissen dieses fesselnden, eigenartigen, großen Buches.

Und diese Sprache!!! Wie schön Murakami über die Liebe schreibt, die Kafka zu Saeki-san empfindet: „Du malst Dir aus, was sie jetzt gerade tut… Du stellst Dir vor, dass sie allein in ihrer Wohnung ist, und siehst einzelne Szenen vor Dir – sie wäscht, sie kocht, sie putzt, sie macht Einkäufe. So lange, bis der Gedanke, dass Du hier festsitzt, Dir den Atem nimmt. Du möchtest Dich in eine kühne Krähe verwandeln und diese Berghütte verlassen. In den Himmel fliegen, über die Berge, dich vor ihrem Haus niederlassen und ihr für alle Ewigkeit zusehen“.

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