Ein wenig half mir dieses etwas eigenartige aber auch
außergewöhnliche und interessante Büchlein, mich mit der Herkunftsregion meiner
Familie zu versöhnen. Das Spinnhaus steht seit 1860 tief im Erzgebirge, nahe
der Kreisstadt Schwarzenberg, in der meine Eltern groß geworden sind und wo ich
viele Monate meiner Kindheit verbrachte.
Vieles dort störte mich damals schon und je älter ich
wurde, entdeckte ich immer mehr unangenehme Eigenarten der dortigen sächsischen
Population. Viele meiner Beobachtungen fand ich nun bei der Lektüre dieses
Romans bestätigt – aber ich durfte auch Charaktere kennen lernen, denen die
Enge und Engstirnigkeit des Waldes ebenfalls als zu klein für ihr Leben
erschienen. So wie meinen Eltern, die, Gott sei’s gedankt, rechtzeitig vor
meiner lustvollen Zeugung den Absprung in die Zivilisation schafften.
Weder das Spinnhaus als Gebäude noch das Buch erfüllen
unsere Erwartungen an die bekannten Exempel ihrer jeweiligen Gattung. Im Haus,
abseits des Dorfes, wohnen von Anfang an fast ausnahmslos die Stranger der
damaligen Zeit: Vertriebene, Stumme, Schrullige, Außenseiter, Alleinerziehende…
Das Buch
erzählt von diesen Gestalten, aber nicht chronologisch, und zumindest auf den
ersten Blick fehlt den einzelnen Geschichten der Zusammenhang. Doch wird man
bald feststellen, dass die Schicksale der einzelnen Familien eng miteinander
verknüpft sind und so kann man Personen, die man bereits kennt später oft in
einer anderen Episode wieder treffen.
Umrahmt werden die einzelnen Erzählungen vom wiederholten
Auftauchen eines Bären, der immer wieder seinen Weg aus Böhmen durch den dichten
Wald nach Neuwelt findet. Auch wenn dieses Szenario sehr unwahrscheinlich ist
(der letzte Bär des Erzgebirges wurde bereits im frühen 18. Jahrhundert erlegt)
so gibt dies doch dem Roman ob seiner damit einhergehenden Mystik auch eine ganz
eigene Würze.
Doch kommen wir nun zu den eigenartigen Menschen, von
denen dieses Büchlein handelt und lebt. Was wir über diese lesen, geht mitunter
sehr weit über die objektive Wahrheit (mal angenommen, es gäbe diese überhaupt )
hinaus. Oft greifen Vorurteile der Mitmenschen, vom Neid böse beeinflusstes Getratsche
und hinterwäldlerische Unkenntnis der Welt in die Geschehnisse mit ein. So
erfahren wir, dass die 59-jährige Uhlig-Trulla, von einem Bären geschwängert,
bis ins hohe Alter hinein trächtig bleibt ohne je zu gebären, wir lesen davon,
wie die kleine Zschiedrich-Lotte von den alten Weibsen des Spinnhauses gequält
wird, erleben mit, wie deren Tochter viele Jahre später pilzvergiftet eingeht
und werden in die vielfältigsten Verstrickungen, die 2 furchtbare Weltkriege
mit sich bringen, verwickelt. Es war ein schweres Leben, das die „armen Leit“
hier fristeten. Doch wenn dann Weihnachten herankommt, ahnt man etwas vom
Besonderen der erzgebirgischen Adventszeit. Wenn die drei ältesten Weibsen des
Spinnhauses ihre herrlich feuchten und zentimeterdick mit Zucker und Butter
bestrichenen Stollen auf dem Schlitten ins „Rilpsstübel“ bugsieren, kommen auch
in mir kindliche Erinnerung an abendliche Spaziergänge durch lichterbogenerleuchtete
Straßen und knirschenden Schnee zum Vorschein. Dann schmecke ich das
Weihnachtsgebäck förmlich und werde friedvoll.
Denn wenn ich an die Menschen und ihre Eigenarten in
dieser seltsam rückständigen Region denke („Jaja,
die Neecher sinn itze ieberall“) fällt mir das Versöhnliche nicht immer
leicht. Auch heute noch ist es hier unabdingbar, dass die Fenster jederzeit blitzeblank
geputzt sind (damit man die Nachbarn immer gut beobachten und über sie lästern
kann), der Grabstein der teuerste ist und man im Advent in jedem Fenster einen
Schwibbogen stehen hat. Wehe dem, der sich diesen Gesetzen widersetzt!
Doch kommt dann die Weihnachtszeit heran, wird für kurze
Zeit alle Missgunst zur Seite geschoben: „Einmal
im Jahr rückte man hierorts so zusammen, dass man glauben wollte, nur für diese
Stunde zu existieren“.
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