Es ist mit Sicherheit nicht die alleinige Schuld
des Romans oder seines Autors, dass sich die Lektüre über so viele Wochen
hinzog. Jedoch: Da das Buch nicht wirklich fesselt und mitreißt, hielt sich die
Versuchung in Grenzen, jede freie Minute mit der Fortsetzung der Geschichte zu
verbringen. Bei anderen Schriften ging es dem Rezensenten teilweise ganz anders,
was jedoch nicht bedeutet, dass „Die Schuld des Tages an die Nacht“ etwa
langatmig oder langweilig wäre. Nein, der Stoff ist ein durchaus spannender: Im
Algerien der 30er bis 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geschahen
groteske Dinge: Mit dem Land selbst, das seine Freiheit zu erlangen suchte, mit
dessen geteilter Bevölkerung, die sich ganz schlicht in reiche Europäer und
unterdrückte Araber einteilen ließ und natürlich mit den vielen einzelnen
Menschen, die diese zwei Gruppen bildeten.
Younes ist einer der wenigen, der sich nicht
so recht einem der beiden verfeindeten Lager zurechnen lässt. Von Geburt her
Moslem und somit „Abschaum“ im eigenen Land, wird er von Onkel und katholischer
Tante als Jonas großgezogen, darf zur Schule gehen und erhält eine Ausbildung
zum Apotheker. Seine Freunde gehören alle der reichen, weißen Oberschicht an,
und er fühlt sich in ihrer Mitte sichtlich wohl. Wenn auch in Jonas’ Herzen ein
unbestimmtes Gefühl wohnt, welches hin und wieder durch ein wenig Mitleid den ausgebeuteten
und im Dreck dahinvegetierenden Arbeitssklaven gegenüber zum Ausdruck kommt, so
kann er sich im Freiheitskampf nicht wirklich auf die Seite der Seinen
schlagen.
Während einer sicherlich hoch erotischen
Stunde mit der reifen, wohlhabenden und sonnengebräunten Madame Cazenave wird
dem 17 Jährigen Jonas nicht nur seine Unschuld genommen. Auch die Lebensfreude,
die ersehnte Liebeserfüllung, pathetisch ausgedrückt: Sein ihm vom Schicksal
eigentlich zugewiesener Lebensinhalt bleiben Jonas wegen dieses spannenden und
leider niemals wiederholten Schäferstündchens auf Ewig versagt. So lange es Sex
und Eifersucht gab, wurden (und werden) Millionen Biographien durch unüberlegte (oder
unklug gehandhabte) Techtelmechtel zerstört oder doch zumindest in eine völlig
neue Richtung gelenkt. Meistens weil der unbeteiligte Partner dann doch davon
erfuhr. Dass in der vorliegenden Geschichte der jugendlich-schönen und
hinreißenden Tochter der Madame hingegen niemals
etwas von dem Rendevouz zu Ohren kommen dürfe, machte die Mama dem Jungen sehr
eindringlich klar. Und so blieben Émilies Liebesmühen Jonas gegenüber
erfolglos. Und die beiden unglücklich bis ans Ende ihrer Tage.
Warum um Himmels Willen hat der erwachsene
Jonas nicht genug Arsch in der Hose, seiner Angebeteten, deren Mann während des
algerischen Bürgerkriegs ums Leben kam, nun beim ersten Wiedersehen nach vielen
Jahren endlich alles zu erzählen? Wozu hatte er sie denn monatelang in jeder
verdreckten Straße der vom Aufstand heimgesuchten Stadt gesucht? Was hatte er
denn zu verlieren als sein trauriges, von Selbstvorwürfen, Selbstmitleid und
der Suche nach Émilie bestimmtes Leben?
Am Lebensende dann, kurz nach der Beisetzung
seiner großen Liebe und dem Wiedersehen aller damals geflüchteten Freunde, kann
der ewig Unreife, der sich in seinem Leben nie für oder gegen etwas entscheiden
konnte, zwar für sich beanspruchen, sein Versprechen eingehalten zu haben. Doch
ist es manchmal nicht vielleicht doch besser, sein Ehrenwort zu brechen als
sein Herz?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen