Wegen des Titels habe ich mir diesen Roman bestimmt
nicht ausgeliehen, der passt weder zu mir noch zu dem vorliegenden Buch. Nein,
es war der mir geläufige Name des Autors, der mich zugreifen ließ. Wer kennt
nicht den anrührenden Film „Drachenläufer“, der nach einer Vorlage von Hosseini
entstanden ist und der auch mich wirklich stark bewegt hat?
Der Plot ist ein ähnlicher, spielt die Handlung doch
zur gleichen Zeit im selben Land (und zwar Afghanistan). Allerdings wird hier
nun die Geschichte des Landes im Gegensatz zum Drachenläufer aus der Sicht
zweier Frauen erzählt. Und die haben wahrlich nichts zu lachen!
Zum einen lesen wir von Mariam, einem unehelich
geborenen Kind, das zusammen mit seiner verbitterten Mutter vom Erzeuger in
eine winzige Hütte außerhalb eines kleinen Dorfes abgeschoben wird. Schließlich
hat der reiche Jalil bereits drei rechtmäßige Frauen und wollte sich womöglich
den vierten und damit letzten Platz in seinem Bett sicherheitshalber noch
freihalten. Man weiß ja nie, wer einem noch so über den Weg läuft. Einmal pro
Woche besucht der Vater das Kind, spielt mit ihm und beschenkt es mit kleinen
aber für das Mädchen unheimlich wertvollen Dingen und erkauft sich damit die Liebe
der Tochter. Den Hass der Mutter hatte er sich schon vor langer Zeit unwiederbringlich
zugezogen. In eine Schule darf Miriam nicht gehen, auch das Haus ihres Vaters
kennt sie nicht. Ihrem größten Wunsch, einmal gemeinsam mit ihren
Halbgeschwistern in dessen Kino zu gehen, kann Jalil aufgrund der geltenden Normen nicht nachkommen und so
läuft das Mädchen schließlich als 15-jährige das erste Mal alleine ins nahe
gelegene Herat. Doch der Vater lässt sich verleugnen und Miriam vom Fahrer
zurück in die ärmliche Hütte bringen. Dort hat die Mutter ihre Drohung wahr
gemacht und sich an einem Baum erhängt. Also hilft es alles nichts, das Mädchen
zieht vorübergehend ins Haus des Vaters, wird aber kurzerhand an einen 30 Jahre
älteren Kabuler Schuhmacher verheiratet. Was sie in Raschids Haus und Bett nun
zu erdulden hat, reicht allein schon für ein Drama erster Güte. Mit jeder
Fehlgeburt verschlimmert sich Miriams Situation, schlimmste Gewalt wird Alltag
und der letzte Rest Hoffnung schwindet zusehends aus ihrem Leben.
Spielend leicht schafft es Hosseini, uns in das
dunkle Haus zu entführen, die düstere und bedrückende Stimmung selbst zu
erleben und Miriams unglaubliche Hoffnungslosigkeit am eigenen Leib zu spüren.
Man sollte daher das Buch nicht unbedingt an einem grauen Novembertag lesen
sondern am Besten in der Sonne am Meer, damit man, was Miriam leider nie
vergönnt war, hin und wieder den Blick schweifen lassen und in die
paradiesische Realität zurückkehren kann. Denn im zweiten Teil des Buches wird
uns nun die politische Situation des Landes mit all ihren Kriegen, Märtyrern,
Königen, Präsidenten und falschen Hoffnungsträgern näher gebracht. Dieser
Abschnitt beinhaltet eine sehr kurzweilige Abhandlung über die jüngere
Geschichte Afghanistans, die anhand von Leila und deren kabuler
Mittelstandsfamilie aufgezeigt wird. Ende der 80er Jahre erkennen die Russen,
genauso wie einige Zeit vorher die Amerikaner in einem anderen asiatischen
Land, dass der Krieg gegen die
Bevölkerung nicht zu gewinnen ist. Schlimm nur, dass die Abwesenheit der
russischen Soldaten einher geht mit der Abwesenheit von Recht und Ordnung. Einschlagende
Raketen, Mord und Totschlag, aufgeschlitzte Kehlen und Vergewaltigungen sind
über einen mehrere Jahre andauernden Zeitraum an der Tagesordnung. So gesehen ist
es vollkommen verständlich, dass sich die Menschen darauf freuen, dass die sich
gegenseitig auf dem Rücken der Zivilbevölkerung bekämpfenden Warlords endlich
durch die islamistischen Bartträger auf ihren roten Toyota Pickups vertrieben
werden. Parallelen zur islamischen Revolution im Iran, die dem Abdanken des
tyrannischen Schahs folgte, werden erkennbar, weil man wirklich nachvollziehen
kann, wie sich die Menschen erst auf die Vertreibung der Russen, später auf die
der Mujaheddin und die anbrechende neue Zeit freuen. Doch jedes Mal werden sie
mit ihren falschen Hoffnungen enttäuscht und es kommt noch viel schlimmer. Liest
man die Liste der neuen Verordnungen und Gesetze, die die Taliban kurz nach
ihrer Machtübernahme veröffentlichen, kommen dem Leser unwillkürlich die
dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte mit ihren grausigen Rassengesetzen
in Erinnerung. Nachdem erst Tarik, Leilas Jugendfreund und heimliche Liebe, ins
Exil gegangen ist, packt nun schließlich auch deren Familie die Koffer. Doch leider
schlägt kurz vor der Abfahrt eine Rakete ins elterliche Haus und von der
Familie bleibt nichts übrig, als ein verletztes und verwaistes 14-jähriges
Mädchen. Welches fortan von Miriam gesund gepflegt wird. Und von Raschid
geehelicht. Denn dieser will unbedingt noch einen Sohn zeugen, hatte er doch
weit vor der Hochzeit mit Miriam im Suff seinen verloren. Das erste Kind, das
Leila auf die Welt bringt, ist nun aber ein Mädchen. Und es ist das
Abschiedsgeschenk vom geliebten Tarik. Was Raschid zwar nicht weiß aber doch
bald ahnt. Mit zielstrebigem und hartnäckigem Einsatz kommt dieser dann doch
noch zu seinem Sohn, und wir müssen staunend feststellen, dass dieses Monster
doch zu Gefühlen fähig ist, die irgendwie mit Liebe verwandt sind, die er
natürlich ausschließlich seinem Jungen angedeihen lässt.
Wie es im Land nach Nine eleven weiterging, das
wissen wir alle. Doch was die Zeit mit der mittlerweile 5-köpfigen Familie
anstellte, das wird an dieser Stelle nicht en détail verraten. Es sei lediglich
der Hinweis gestattet, dass die Lebenssituation der beiden Frauen, die lange
brauchten, um sich einander anzunähern und schließlich herzlich zu befreunden,
nicht bunter sondern eher grauer und schwärzer wurde. Zumindest bis zum finalen
Höhepunkt der häuslichen Gewalt, nach dem sich dann die Wege der
Familienmitglieder trennen. Allerdings bringt diese Freundschaft der
Leidensgenossinnen auch einige lichte Momente mit sich. Erstmals seit dem Tod
ihrer Mutter vor ca. 20 Jahren hat Miriam mit den Kindern und Leila wieder
Menschen an der Seite, denen sie nicht ängstlich aus dem Weg gehen muss sondern
die ihre Liebe zu schätzen wissen und dieser dadurch ein paar kurze
Glücksmomente schenken, von denen sie schon ewig nicht mehr geträumt hatte. Bis
dahin war sie von der Einsicht geprägt, „dass
die Liebe ein gefährlicher Fehler ist und ihre Komplizin, die Hoffnung, eine
trügerische Illusion“.
Für uns hier, die wir uns nicht im Ansatz das
düstere Leben von zwangsverheirateten Frauen in einer solch extrem
patriarchischen Gesellschaft vorstellen können, mag dieser Satz zynisch
klingen. Für die Frauen, die in ständiger Angst vor Gewalt, physischem und
psychischem Schmerz leben müssen und die nicht einmal allein auf die Straße
gehen können, ist jedoch die Aufgabe aller Hoffnung ein notwendiger
Schutzmechanismus, um nicht zu Grunde zu gehen. Andererseits wird nur durch
Hoffnung Veränderung möglich. Und diese wünsche ich diesem gequälten Land,
seinen gequälten Menschen und vor Allem allen unterdrückten Frauen dieser Welt.
Amen!
Beim Lesen dieses Romans habe ich mich oft gefragt wie man das als Frau so lange aushält. Erst bringt sich die Mutter um, weil Mariam zu ihrem geliebten Vater will und dann wird sie von dem an einen alten Mann zwangsverheiratet. Und Mariam muss es zulassen, weil sie dieses wunderbare Kind trägt. Schon alleine das reicht aus, um zu fliehen, sich selbst oder den Tyrannen umzubringen.
AntwortenLöschenJa, genau das fragt sich wohl jeder Leser...
LöschenAllerdings irrst Du Dich mit dem Kind. Nicht Miriam trägt dieses in ihrem Schoß. Es ist viele Jahre später dann Leila, die zweite Frau des inzwischen noch viel älteren Mannes, die von ihrem Sandkasten- und Jugendfreund Tarik schwanger ist. Naja, und die Idee mit dem Umbringen des Tyrannen wird ja schließlich in die Tat umgesetzt. Mit schwerwiegenden Konsequenzen allerdings...